Victoria Nordmann, Dr. Michael Nugel
Rz. 1
Im Rahmen der Verkehrsunfallbearbeitung stehen dem Geschädigten verschuldensabhängige und verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlagen aus dem Straßenverkehrsgesetz (StVG), dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sowie dem Haftpflichtgesetz (HpflG) zur Verfügung. Alle drei Gesetze beinhalten Anspruchsgrundlagen, die sowohl auf den Ausgleich materieller Positionen des Sach- und Personenschadens wie auch des immateriellen Schadens gerichtet sind.
Rz. 2
Die Halterhaftung aus § 7 Abs. 1 StVG ist als Gefährdungshaftung ausgestaltet und greift grundsätzlich ein, wenn durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, Schäden verursacht werden. Die haftungsbegründenden Voraussetzungen der Halterhaftung sind mithin Folgende:
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Halter, |
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Kraftfahrzeug bzw. Anhänger, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, |
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Betrieb eines Kraftfahrzeugs bzw. Anhängers im obigen Sinne, |
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haftungsbegründende Kausalität, |
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Schaden. |
Darlegungs- und Beweislast liegen insoweit beim Anspruchsteller. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass die Haftung – anders als § 823 BGB – kein Verschulden erfordert.
Rz. 3
Die Haftung des Halters kann aber in folgenden Fällen aufgrund des StVG ausgeschlossen sein:
Die Darlegungs- und Beweislast für einen derartigen Haftungsausschluss liegen bei dem in Anspruch genommenen Halter. Diese Haftungsvoraussetzungen sowie die vier oben angeführten Ausschlüsse werden im Folgenden dargelegt.
I. Kraftfahrzeug und Anhänger i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG
1. Kraftfahrzeug
Rz. 4
Kraftfahrzeuge i.S.d. § 7 StVG sind sämtliche Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein (§ 1 Abs. 2 StVG). Maßgeblich für die Qualifikation eines Kraftfahrzeugs ist, dass das Gefährt mit Maschinenkraft betrieben wird. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich um Explosionsenergie, elektrische Energie oder Dampf handelt. Auch wenn danach definitorisch z.B. Krankenfahrstühle zu Kraftfahrzeugen i.S.d. StVG gehören, nimmt § 8 StVG solche Fahrzeuge von der Gefährdungshaftung des § 7 Abs. 1 StVG aus, da sie auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 km/h fahren können.
Demgemäß gilt die in § 7 StVG geregelte Gefährdungshaftung nicht für Fahrradfahrer. Ein "Kraftfahrzeug" liegt erst dann vor, wenn das Fahrrad über einen Hilfsmotor verfügt, der eine bestimmte Geschwindigkeit ermöglicht. Eine "Betriebsgefahr" spielt ansonsten bei Ansprüchen gegen Fahrradfahrer keine Rolle. Dies gilt auch für sog. Pedelecs, die durch einen Elektromotor lediglich eine Unterstützung erfahren und nicht schneller als 25 km/h fahren. Diese Pedelecs, bei denen der Motor ausschließlich unterstützend arbeitet und bei denen die maximale Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt ist, sind nach § 1 Abs. 3 StVG verkehrsrechtlich als Fahrrad ohne eigene Betriebsgefahr einzuordnen. Dessen ungeachtet kann der Fahrradfahrer auch bei einem Pedelec bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen die StVO gegenüber einem Kfz alleine haften. Davon zu unterscheiden sind sog. "Speed Pedelecs", die mithilfe des Motors auf bis zu 45 km/h beschleunigen können und für deren Benutzung ein Rollerführerschein erforderlich ist und die Helmpflicht gilt.
2. Anhänger
Rz. 5
§ 7 Abs. 1 StVG erfasst auch die Haftung für Kraftfahrzeuganhänger. Hierunter fallen alle Fahrzeuge, die dazu bestimmt sind, an ein Kraftfahrzeug angehängt zu werden. (Liegengebliebene) Kraftfahrzeuge werden von diesem Begriff nicht erfasst, da sie dazu bestimmt sind, mit eigener Motorkraft zu fahren. Ausgeschlossen von der Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG sind auch alle Anhänger, die von anderen Fahrzeugen als Kraftfahrzeugen gezogen werden sollen (z.B. Fahrradanhänger).
II. Betrieb eines Kraftfahrzeugs/Kraftfahrzeuganhängers
Rz. 6
Der Begriff des Betriebs eines Kraftfahrzeugs (und jetzt auch eines Kraftfahrzeuganhängers) ist weit auszulegen, um den hohen Gefahren im Straßenverkehr gerecht zu werden. Von ihm werden sämtliche Schäden umfasst, die durch Gefahren adäquat verursacht werden, die dem Kraftfahrzeug typischerweise innewohnen. Das Tatbestandsmerkmal "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG setzt nicht grundsätzlich einen nahen zeitlichen Zusammenhang zwischen Schadensfall und Fahrzeugbetrieb voraus. Maßgeblich ist, ob der Schaden entweder beim Betrieb des Fahrzeugs selbst bzw. in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang damit oder aber durch ...