Rz. 389

Da über den Anspruch auf Insolvenzgeld vor dem Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld nicht isoliert verfügt werden kann, d.h. der Arbeitnehmer den Anspruch auf Insolvenzgeld nicht ohne den Anspruch auf Arbeitsentgelt verpfänden oder übertragen kann, tritt eine Änderung erst mit dem Antrag auf Insolvenzgeldgewährung ein. Nach § 171 SGB III kann der Anspruch auf Insolvenzgeld wie Arbeitseinkommen gepfändet, verpfändet oder übertragen werden. Der Anspruch kann dementsprechend nach Antragstellung unmittelbar erworben werden. Allerdings soll nach einer Entscheidung des LSG Baden-Württemberg der Insolvenzverwalter keinen Anspruch auf Insolvenzgeld gegen die Agentur für Arbeit aus abgetretenem Recht haben, wenn er nach der Insolvenzeröffnung den Insolvenzgeldanspruch vom Arbeitnehmer zwar durch Forderungskauf mit einem Kaufpreis in Höhe des zugrunde liegenden Nettolohns zum Zweck der Vorabfinanzierung des Insolvenzgeldes erworben hat, ihm aber rechtlich und tatsächlich die Erfüllung des Anspruches auf Arbeitslohn möglich gewesen wäre.[256]

 

Rz. 390

Die Vorschriften des Allgemeinen Teils über Verfügungen unter Lebenden (§§ 53 bis 55 SGB I) sind wegen der spezialgesetzlichen Regelung des § 171 SGB III nicht anwendbar. Allerdings steht § 171 SGB III nicht der Anwendung des § 51 Abs. 1 SGB I entgegen. Zwar stellt § 171 SGB III grundsätzlich eine Spezialregelung gegenüber den Vorschriften der §§ 53 Abs. 354 Abs. 3 und 4 SGB I dar. Nicht ausgeschlossen ist aber § 51 SGB I. Denn § 51 SGB I und § 171 SGB III regeln unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen. § 171 SGB III beschäftigt sich allein mit der "Verkehrsfähigkeit" des Insolvenzgeldes. Gemeint ist damit, ob und in welcher Höhe Insolvenzgeld im allgemeinen Rechtsverkehr übertragen und verpfändet werden kann. § 51 SGB I dagegen regelt die Aufrechnungsmöglichkeiten von Sozialleistungsträgern gegenüber Ansprüchen auf Sozialleistungen.

 

Rz. 391

Damit richtet sich eine Aufrechnung nach § 51 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 54 Abs. 2 SGB I. Zwar verweist § 51 Abs. 1 SGB I sowohl auf § 54 Abs. 2 als auch auf § 54 Abs. 4 SGB I. Einschlägig ist jedoch nicht § 54 Abs. 4 SGB I, da es sich bei Insolvenzgeld nicht um eine laufende Geldleistung handelt, sondern um eine einmalige Geldleistung. Somit ist nur § 54 Abs. 2 SGB I anwendbar. Danach können Ansprüche auf einmalige Geldleistungen nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.

Des Weiteren sind die Vorschriften des BGB über die Aufrechnung lückenfüllend heranzuziehen.[257]

 

Rz. 392

Die Pfändungsgrenzen der §§ 850 ff. ZPO sind zu beachten.

 

Rz. 393

Kommt es zu einer Pfändung des Anspruchs auf Insolvenzgeld vor Antragstellung, wird sie erst mit dem Antrag wirksam. Hier ist das Prioritätsprinzip zu beachten, wonach die Pfändung den Vorrang vor anderen Pfändungen hat, die der Arbeitsagentur zuerst zugestellt worden ist.

 

Rz. 394

Beim Anspruch auf Insolvenzgeld ist der Pfändungsschutz nach §§ 850 ff. ZPO auch im Zusammenhang mit einer Abtretung zu beachten, § 400 BGB. Bei der Vorfinanzierung von Arbeitsentgelten mit Hilfe von Forderungskäufen hat das BSG die Auffassung ­vertreten, dass der Gedanke, dass das Insolvenzgeld wirtschaftlich den übergegangenen Arbeitsentgeltanspruch ersetzte, aus dem der Arbeitnehmer in der Regel seinen Lebensunterhalt bestreitet, dann nicht mehr greife, wenn der Arbeitnehmer schon im Wege der vorangegangenen Vorfinanzierung eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung erhalten habe und der den Abtretungsausschluss rechtfertigende Einkommensschutz deshalb bei der anschließenden Zession des Insolvenzgeldes keine Wirkung mehr entfalten könne.[258] Hieraus hat das LSG Brandenburg gefolgert, dass dies auch gelten müsse, wenn das Arbeitsentgelt vorläufig zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt worden ist und mithin dem Zedenten wirtschaftlich zur Verfügung stehe.[259]

 

Rz. 395

Soweit Insolvenzgeld vorfinanziert wird, das nach § 170 SGB III einem Dritten zusteht, ist die Gegenleistung für die Übertragung des Arbeitsentgeltanspruchs als Insolvenzgeld i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen. Die an den Arbeitnehmer gezahlten Entgelte hat dieser "bezogen", wenn sie ihm nach den Regeln über die Überschusseinkünfte zugeflossen sind.[260]

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch der Verzicht des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt. Hierzu hat das LSG Baden-Württemberg am 22.8.2014[261] Folgendes ausgeführt: "Hat ein Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Konzernsanierungstarifvertrages auflösend bedingt (das heißt durch Stellung des Insolvenzantrages des Arbeitgebers) im Bemessungszeitraum auf Arbeitsentgelt verzichtet und wurde dieser nach Bedingungseintritt nun fällig gewordene Arbeitsentgeltanspruch alleine wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht erfüllt, ist das Arbe...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?