Rz. 1
Wie jedes Insolvenzverfahren wird auch das Nachlassinsolvenzverfahren nur auf Antrag eingeleitet. Obwohl nach dem Eintritt materieller Insolvenzreife ein öffentliches Interesse an einer umgehenden Einleitung des Insolvenzverfahrens besteht, ist dem deutschen Insolvenzrecht eine amtswegige Einleitung des Insolvenzverfahrens fremd. Besonders groß ist besagtes öffentliches Interesse, wenn es sich bei dem insolvenzreifen Schuldner um eine haftungsbeschränkte juristische Person oder Gesellschaften ohne natürliche Person als persönlich haftendem Gesellschafter handelt. Dem Schutzbedürfnis des Rechtsverkehrs vor materiell insolventen Schuldnern wird in den genannten Fällen dadurch Rechnung getragen, dass für die Organe haftungsbeschränkter Schuldner eine (strafbewehrte) Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) besteht, die durch ein haftungsträchtiges Auszahlungsverbot (vgl. § 15b InsO) flankiert wird. Für natürliche Personen besteht weder das eine noch das andere. Hintergrund ist, dass natürliche Personen streng genommen nicht überschuldet sein können, da sie theoretisch jederzeit durch Neuerwerb – etwa aus dem Einsatz ihrer künftigen Arbeitskraft, Erbschaft, Schenkung etc. – ihre Kapitaldienstfähigkeit zurückerlangen können. Dementsprechend ist die Überschuldung bei natürlichen Personen kein Insolvenzeröffnungsgrund, vgl. § 19 InsO.
Rz. 2
Durch den Erbfall und die grundsätzlich jederzeitige Möglichkeit des Erben, seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken, wandelt sich die vormals unbeschränkte persönliche Haftung des Erblassers in eine auf den Nachlass beschränkbare Haftung um. Der Nachlass bekommt damit haftungsrechtlich gesehen den Charakter eines haftungsbeschränkten Sondervermögens, entsprechend demjenigen von juristischen Personen oder Gesellschaften ohne natürliche Person als persönlich haftendem Gesellschafter. Demgemäß statuiert das Gesetz für den Erben in Bezug auf den Nachlass eine Insolvenzantragspflicht, wohingegen für den Erblasser – auch wenn dieser lebzeitig schon seit Jahren im Rechtssinne zahlungsunfähig gewesen sein mag – keine entsprechende Verpflichtung bestand. Der Begriff des "Erben" in § 1980 BGB erfasst auch den einzelnen Miterben, den Vorerben bis zum Eintritt des Nacherbfalls und den Erbeserben.
Rz. 3
Zu beachten ist, dass die Insolvenzantragspflicht des § 1980 Abs. 1 S. 1 BGB keine echte einklagbare Verpflichtung begründet, sondern nur eine Obliegenheit darstellt, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht gegenüber den Nachlassgläubigern begründet. Anders als die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO ist eine Verletzung der Antragspflicht für den Erben nicht strafbar, was damit zusammenhängt, dass der Erbe im Unterschied zu den handelnden Organen der dort genannten Gesellschaften im Regelfall keine persönliche Schuld am Eintritt der Insolvenz trägt und der Gesetzgeber die Verletzung der Insolvenzantragspflicht nur dann als zwingend strafwürdig erachtet, wenn der Betreffende zusätzlich für den Eintritt der materiellen Insolvenz eine vorwerfbare Verantwortung trägt, was bei dem Organ typischerweise und beim Erben nur ausnahmsweise der Fall ist.
Rz. 4
Offensichtlich nicht bedacht hat der historische Gesetzgeber, dass Erbberufenen mit der Möglichkeit zur Erbausschlagung ein einfacherer Weg zur Abwendung einer persönlichen Eigenhaftung für die Nachlassverbindlichkeiten zur Verfügung steht und die Ausschlagung der nächstberufenen Angehörigen wegen (mutmaßlicher) Überschuldung in annähernd 100 % der Fälle sukzessive Ausschlagungen aller weiteren Erbberufenen fernerer Verwandtschaftsordnungen nach sich zieht. Diese Kettenausschlagungen führen dazu, dass in Fällen erkennbarer Nachlassinsolvenz nach dem Erbfall typischerweise über Monate kein insolvenzantragspflichtiger Nachlassrepräsentant vorhanden ist und die gesetzliche Insolvenzantragspflicht des § 1980 Abs. 1 BGB daher typischerweise leerläuft. Jedenfalls hat der historische Gesetzgeber nicht bedacht und auch keineswegs so vorgesehen, dass Nachlassgerichte auf Erbausschlagungen der nächsten Angehörigen typischerweise mit der Anordnung einer (Sicherungs-)Nachlasspflegschaft i.S.v. § 1960 BGB reagieren, für die der BGH im Jahr 2004 festgestellt hat, dass Nachlasspfleger – anders als Nachlassverwalter i.S.d. § 1985 Abs. 2 S. 2 BGB – nicht nach § 1980 BGB insolvenzantragspflichtig sind (dazu und zur hier vertretenen Gegenansicht ausführlich § 4 Rdn 66 f.).
Rz. 5
Nach h.M. greift die Insolvenzantragspflicht erst ab Annahme der Erbschaft, § 1943 BGB. Freilich wird man in bestimmten Verwaltungsmaßnahmen, wie z.B. in der Befriedigung einzelner Nachlassgläubiger aus Nachlassmitteln oder der Einziehung von Nachlassforderungen auf eigene Konten, in der Regel eine konkludente Annahme zu sehen haben.
Hinweis
Die Antragspflicht des Erben erlischt mit der Anordnung einer Nachlassverwaltung. Die Antragspflicht trifft dann ausschließlich den Nachlassverwalter.
Rz. 6
Die Antragspflicht besteht, wenn der Erbe Kenntnis von der Überschuldung (...