Rz. 27
Anerkannt ist, dass ein Verschulden des Rechtsanwalts bei unvorhergesehenen, durch andere Maßnahmen nicht zu verhindernden oder rechtzeitig wieder auszugleichenden Ereignissen wie plötzlicher Erkrankung, Unfall oder besondere seelische Belastung entfällt. Eine schwere Erkrankung am letzten Tag der Berufungsfrist stellt für den Rechtsanwalt ein unabwendbares Ereignis dar. So darf der Rechtsanwalt sich auf eine telefonische Mitteilung des Vorsitzenden über eine gewährte Fristverlängerung mit entschuldigender Wirkung ebenfalls verlassen. Er ist auch bei missverständlicher Fristverlängerung entschuldigt. Der Rechtsanwalt hat grundsätzlich jeden Rechtsirrtum zu vertreten, es sei denn, es wurde ein Vertrauenstatbestand geschaffen und er hatte keine Veranlassung, sich insoweit mit Rechtsprechung und Literatur auseinanderzusetzen. Im Grundsatz verweist die Rechtsprechung auf die Notwendigkeit eines Vertreters im Verhinderungsfall: Die Pflicht, für einen Vertreter zu sorgen, besteht immer dann, wenn es sich nicht um eine plötzlich auftretende, nicht vorhersehbare Erkrankung des Anwalts handelt, sondern wenn der Gesundheitszustand derart ist, dass mit wiederholt auftretenden Krankheitsfolgen zu rechnen ist, die den Rechtsanwalt außerstande setzen, seinen Berufspflichten in dem erforderlichen Umfang nachkommen zu können. Insoweit hat der BGH auch unterstrichen, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass werktags aufgegebene Post am folgenden Werktag ausgeliefert wird. Eine Weisung gegenüber dem Büropersonal, vor Ablauf einer beabsichtigten Fristverlängerung bei Gericht anzurufen und nachzufragen, kann aber zu Missverständnissen führen und ist daher kein Entschuldigungsgrund. Kein Entschuldigungsgrund ist auch eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung des Gerichts, wenn der Mandant anwaltlich vertreten ist. Entschuldigungsgründe sind aber alle im Straßenverkehr plötzlich auftretenden Ereignisse wie plötzlicher Unfall, Verkehrsstau oder Autopanne und spielen daher im Haftungsrecht der Rechtsanwälte eine allenfalls marginale Rolle, da sie regelmäßig Gegenstand eines Wiedereinsetzungsverfahrens (§ 233 ZPO) sind oder im Rahmen einer Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil (§§ 345, 514 Abs. 2 ZPO) zu prüfen sind – werden diese Ereignisse dort anerkannt, stellt sich die Frage eines Regresses nicht mehr. Weiterhin hat der BGH in einem Fall Wiedereinsetzung gewährt, selbst wenn ein Verschulden eines Prozessbevollmächtigten vorlag – dem Vorsitzenden hätte die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sofort auffallen müssen, die nicht erfolgte Weitergabe des Berufungsschriftsatzes an das richtige Gericht wurde als Gerichtsfehler gewertet, der die Grundsätze eines fairen Verfahrens verletzt, bei dem sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht mehr auswirkt. Sollte keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand möglich sein, kann ein ersatzpflichtiger Schaden aber in den etwaigen Mehrkosten liegen.
Rz. 28
Selbst ein erhebliches Verschulden des Rechtsanwalts schließt die Anwendbarkeit von § 254 BGB für den Mandanten nicht aus. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Anwalt vorsätzlich gehandelt hat – in einem solchen Fall tritt im Rahmen der nach § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung des Geschädigten regelmäßig hinter dem vorsätzlichen Verursachungsbeitrag des Anwalts zurück. Ansonsten gilt für § 254 BGB, dass die Zurechnung durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Der Schutzzweck – oder auch Zurechnungszusammenhang – zu einem früheren, schädigenden Ereignis eines Rechtsanwalts – wird aber keinesfalls durch jeden eigenen selbstständigen Willensakt des Mandanten oder ein mitverschuldensursächliches Pflichtverhalten von eingeschalteten Dritten unterbrochen. Hätte der Auftraggeber eine Gefahrenlage, zu deren Vermeidung er einen Fachmann hinzugezogen hat, bei genügender Sorgfalt selbst erkennen und abwenden können, so vermag dies in aller Regel kein Mitverschulden des Mandanten zu begründen. Insbesondere kann ein haftpflichtiger Berater seinem geschädigten Mandanten kein Mitverschulden vorwerfen, soweit er den entstandenen Schaden nach dem Vertragsinhalt – vor allem im rechtlichen Bereich – zu verhindern hatte. Im Anwaltshaftungsrecht spielt folglich der Einwand des Mitverschuldens des Mandanten – und auch der eines Dritten – keine erkennbare Rolle.