Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 90
Fall 15:
Der Erblasser ist deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz/gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland. Er hinterlässt ein Grundstück in Österreich.
a) Bisherige Rechtslage
Rz. 91
Aus deutscher Sicht wurde der Erblasser gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB nach deutschem Recht beerbt. Deutsches Recht galt aus deutscher Sicht auch für das Grundstück in Österreich, weil keine Ausnahme nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB eingreift, denn in Österreich bestand keine Sonderanknüpfung für unbewegliches Vermögen. Auch aus österreichischer Sicht war deutsches Recht für die Erbfolge maßgeblich, das österreichische Kollisionsrecht knüpfte ebenfalls an die Staatsangehörigkeit an (§ 28 Abs. 1 des öst IPRG).
Rz. 92
Die Besonderheit des österreichischen Rechts besteht (nach wie vor) darin, dass der Nachlass den Erben nicht bereits mit dem Tod des Erblassers oder aufgrund der Erbschaftsannahme zufällt, sondern erst aufgrund eines gerichtlichen Einantwortungsbeschlusses. Der Beschluss ergeht jedoch nur, wenn der Erbe die Erbschaft förmlich in einem bestimmten Verfahren, nämlich dem Verlassenschaftsverfahren des österreichischen Rechts, angenommen hat. Bei der Erteilung des Erbscheins bestand die Zuständigkeit der deutschen Gerichte gem. §§ 105, 343 Abs. 1 FamFG. Sofern die Erben keine Beschränkung des Antrages gem. § 2369 BGB vorgenommen hatten, bestand die Internationale Zuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts aus deutscher Sicht auch im Hinblick auf das unbewegliche Vermögen in Österreich. Das Problem für das deutsche Nachlassgericht bestand darin, dass die Erbenstellung hinsichtlich des österreichischen Grundstücks zwingend den gerichtlichen Einantwortungsbeschluss verlangte.
Rz. 93
Zweifelhaft war, ob das deutsche Gericht selbst die Einantwortung vornehmen kann, obwohl das deutsche Recht eine derartige Rechtsfigur nicht kennt. Die deutschen Gerichte lehnten das grundsätzlich ab, weil es sich dabei um eine wesensfremde Tätigkeit handelt (aber zur Ausnahme unten Fall 16, siehe Rn 99). Es musste daher grundsätzlich ein Verlassenschaftsverfahren nach österreichischem Recht in Österreich durchgeführt werden, bevor der deutsche Erbschein erteilt werden konnte (der dann allerdings im Hinblick auf die in Österreich befindlichen Nachlassgegenstände gar nicht mehr benötigt wurde).
Rz. 94
Anders wurden Fälle beurteilt, in denen die österreichischen Gerichte gar nicht zuständig waren. Das war z.B. aus österreichischer Sicht dann der Fall, wenn ein österreichischer Staatsangehöriger in Österreich keinen Wohnsitz hatte und sich auch keine Nachlassgegenstände in Österreich befanden (dazu Fall 16, siehe Rn 99).
b) Rechtslage unter Anwendung der ErbVO
Rz. 95
Es ergeben sich keine Schwierigkeiten, wenn es beim Regelfall des Gleichlaufs zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht bleibt. Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, sind die österreichischen Gerichte zuständig (Art. 4 ErbVO) – international nunmehr für den gesamten Nachlass – und ist österreichisches Recht Erbstatut, so betrifft die Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens auch denjenigen Teil des Nachlasses, der sich außerhalb von Österreich befindet.
Erteilt das österreichische Gericht das ENZ, kann damit in Deutschland unproblematisch die Erbenstellung in das deutsche Vermögen nachgewiesen werden; aus deutscher Sicht ergeben sich keine Besonderheiten, auch nicht für das Grundbuchamt, denn die Erbenstellung steht fest (und das deutsche Sachenrecht erfordert keine Besonderheiten).
Rz. 96
Sind die deutschen Gerichte zuständig und beherrscht deutsches Recht die Erbfolge (bei gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland), liegt aus österreichischer Sicht ein Problem darin, dass es eben an der Einantwortung fehlt. Entsprechend müsste in Österreich – zumindest für das in Österreich befindliche Vermögen – das Verlassenschaftsverfahren durchgeführt werden. Insofern ist die Rechtslage vergleichbar mit der in den common law Staaten, deren Verfahrensrecht zwingend die Einschaltung von Nachlassverwaltern vorsieht (vgl. Art. 29 ErbVO).
Rz. 97
Eine besondere Regelung zu dieser ähnlichen Problematik, dass das Recht eines Mitgliedstaats für die Übertragung ein besonderes gerichtliches Verfahren vorsieht, findet sich in der ErbVO jedoch nicht. Es steht daher zu erwarten, dass in Österreich ein innerstaatliches Verfahren etabliert wird, um (für in Österreich befindlichen Nachlass) das Verlassenschaftsverfahren gegebenenfalls "nachzuholen", oder davon abzusehen, sofern die Erbfolge nicht dem österreichischen Recht unterfällt.
Ist ein deutsches Gericht (über Art. 4 ErbVO) international zuständig, unterliegt aber die Erbfolge dem österreichischen Recht (Rechtswahl), ist es zunächst möglich, dass es über Artt. 5 ff. ErbVO zu einer Abgabe an die österreichischen Gerichte kommt.
Hinweis
Hier gilt es abzuwägen, ob es im Einzelfall sinnvoll ist, eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen. Das hängt davo...