Rz. 5
Eine Betreuung kann nach § 1814 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 BGB nur eingerichtet werden, wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Ob nach § 1814 Abs. 3 BGB eine Betreuung erforderlich ist, hängt von der subjektiven Betreuungsbedürftigkeit und dem Betreuungsbedarf ab; diese Voraussetzungen gelten sowohl für die erste Einrichtung einer Betreuung als auch für deren Verlängerung. § 1814 BGB regelt zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes die allgemeinen Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung, während § 1815 BGB den Umfang der Betreuung regelt; beide Normzwecke wurden bis 1.1.2023 in § 1896 BGB a.F. beschrieben.
I. Minderjährige Betroffene
Rz. 6
Ein Minderjähriger bedarf keiner Betreuung im Sinne dieser Norm, da er von seinen Eltern oder einem Vormund betreut wird (§§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB).
Ist allerdings bei einem Minderjährigen, der das 17. Lebensjahr vollendet hat, absehbar, dass bei Eintritt der Volljährigkeit eine Betreuung erforderlich wird, kann vorsorglich schon vor dessen Volljährigkeit ausnahmsweise ein Betreuer bestellt werden (§§ 1814 Abs. 5, 1825 Abs. 4 BGB); hierbei stehen den Eltern als gesetzliche Vertreter nach § 279 Abs. 4 FamFG Anhörungsrechte zu. Die Anordnung der Betreuung erfolgt entweder von Amts wegen oder auf Antrag. Bei einer reinen körperlichen Behinderung geschieht dies nur auf einen Antrag hin; der Antrag kann als höchstpersönliches Recht nur vom Minderjährigen selbst gestellt werden, wobei "Anträge" der Eltern als Anregungen auszulegen sind.
II. Volljährige Betroffene
1. Unfähigkeit zur Geschäftsbesorgung
Rz. 7
Der zu betreuende Volljährige muss unfähig sein, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise zu besorgen. Diese Unfähigkeit zur Geschäftsbesorgung muss derart krankheitsbedingt sein, dass der Betreute nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen. Unter der freien Willensbestimmung ist die Fähigkeit des Betroffenen zu verstehen, seinen Willen ohne Einfluss durch Krankheit oder Behinderung zu bilden und nach der gewonnenen Einsicht zu handeln. Dies muss der Tatrichter feststellen. Wird festgestellt, dass die freie Willensbildung des Betroffenen "erheblich beeinträchtigt" ist, folgt daraus noch nicht, dass der Betroffene zu einer freien Willensbildung bezüglich seiner Betreuung nicht mehr in der Lage ist.
Rz. 8
Bloße Nachlässigkeiten des Betroffenen bei Ausübung seiner eigenen Geschäfte oder tolerable Normabweichungen genügen demnach noch nicht, um eine Betreuung einzurichten. Eine mangelhafte Schulausbildung, die Begehung von Straftaten, Arbeitsunlust oder soziale Fehlentwicklungen erfüllen noch nicht die medizinischen Kriterien, um einen Betreuer zu bestellen. Anders, wenn die Normabweichungen zu Gesundheitsgefährdungen führen können oder Rechtskreise Dritter betreffen (z.B. Rattenbefall in einer Messie-Wohnung; Maden- und/oder Schimmelbildung in Essensrückständen, die "gehamstert" werden, u.a.), sofern der Betroffene dies krankheitsbedingt nicht erkennen kann. Selbst wenn sich der Betroffene bis auf Weiteres in Strafhaft befindet, kann eine Betreuungseinrichtung unterbleiben, sofern er bei Bedarf auf die Unterstützung durch den Sozialdienst und das Entlassungsmanagement der Haftanstalt zurückgreifen kann.
2. Kausalität: Krankheit – Unfähigkeit zur Geschäftsbesorgung
Rz. 9
Die Ursache der o.g. Unfähigkeit muss in einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung liegen. Geistige Behinderungen können angeboren oder im Laufe der Zeit aufgetreten sein (z.B. Altersdemenz).
Vorab sind immer sog. soziale Behinderungen, wie z.B. Unangepasstheit, Neigung zu Straftaten, Abweichungen vom "Durchschnittsverhalten", auszuscheiden.
a) Suchterkrankungen
Rz. 10
Schwierig ist die Einordnung von Suchterkrankungen als psychische Krankheiten, welche bei entsprechender Schwere die Einrichtung einer Betreuung ebenfalls begründen können:
Das bloße Vorliegen einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit genügt als Voraussetzung für die Anordnung einer Betreuung noch nicht. Hinzukommen muss, dass diese Abhängigkeit Symptom einer vorhandenen psychischen Krankheit ist oder zu einer solchen geführt hat. Die Abgrenzung ist problematisch und letztlich nur an Hand eines medizinischen Sachverständigengutachtens möglich.
Rz. 11
Psychische Krankheiten im Sinne des § 1814 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 BGB sind zunächst die "klassischen", nämlich endogene (z.B. Schizophrenie) wie auch exogene organische Psychosen (Parkinsonerkrankung, Folgen von Enzephalitis u.a.). Hierzu zählt seit jüngerer Zeit auch die Spielsucht als Form der Verhaltenssucht, die gesundheitsbedingt entstanden ist.
Eine Suchterkrankung (siehe Rdn 10) rechtfertigt erst dann die Einrichtung einer Betreuung, wenn sie in kausalem Zusamm...