1. Selbstbindung des Betreuten
Rz. 193
Der Betreuungsbedürftige ist nach § 1816 Abs. 2 BGB an früher geäußerte Wünsche nicht gebunden. Er kann sie jederzeit widerrufen. Es besteht somit keine Selbstbindung des Verfügenden. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Auswahl des Betreuers als auch auf die sonstigen Wünsche; der jeweils aktuelle Wille des Betreuten ist daher maßgeblich. Betreuungsbedürftige sind in aller Regel leicht beeinflussbar. Daher muss besonders darauf geachtet werden, ob eine Willensänderung vorliegt, oder der Betreute nicht vielmehr dem Willen anderer nachgibt, wenn er von seinen ursprünglichen Vorstellungen abrücken will. Ebenso muss sicher sein, dass die geänderten Vorstellungen des Betreuten keiner momentanen Stimmungsschwankung entsprungen, sondern ernsthaft gewollt sind.
2. Bindung des Betreuungsgerichts
Rz. 194
Wie bereits dargestellt, sind insoweit § 1816 Abs. 2 S. 1 BGB maßgeblich, soweit es dem Vorgeschlagenen an der erforderlichen Eignung für die Amtsübernahme fehlt.
Der Vorgeschlagene muss zur Übernahme der Betreuung geeignet sein. Dies ist im Rahmen einer Einzelfallabwägung zu prüfen. Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Vorgeschlagenen und dem Betroffenen, erkennbares Desinteresse, Unvermögen oder eigene Gebrechlichkeit des Betreuers heben den Vorschlag des Verfügenden daher auf.
Rz. 195
Die "Eignung" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und unterliegt der vollen Nachprüfung in der Rechtsbeschwerde. Das Gesetz stellt dabei auf zwei Merkmale entscheidend ab:
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Die notwendigen intellektuellen und emotionalen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Besorgung des Aufgabenkreises müssen ebenso vorhanden sein wie die Möglichkeit der persönlichen Betreuung. Welche Anforderungen konkret zu erfüllen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von den zu erledigenden Aufgaben. |
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Der Vorschlag des Verfügenden läuft dem eigenen Wohl beispielweise zuwider, wenn ein gefährliches Abhängigkeitsverhältnis, ein erkennbares Desinteresse, Unvermögen oder eigene Gebrechlichkeit des Betroffenen besteht. Steht eine weitaus besser geeignete Person als Betreuer zu Verfügung, ist der Vorgeschlagene aber nicht ungeeignet, hat der Wille des Verfügenden Vorrang. |
Rz. 196
Ist der als Betreuer Vorgeschlagene nicht willens, die Betreuungsaufgabe zu übernehmen, wird er in aller Regel kein guter Sachwalter sein, so dass er vom Betreuungsgericht kaum zur Übernahme des Amtes gezwungen werden wird. Zwar besteht nach § 1819 Abs. 1 BGB die Übernahmepflicht, jedoch ist die Ablehnung mit keiner Sanktion verbunden.
Praxistipp
Es gilt festzuhalten, dass es eine absolute Garantie, dass das Betreuungsgericht dem Wunsch des Verfügenden folgt, nicht gibt.
3. Bindung des Betreuers
Rz. 197
Ist in der Betreuungsverfügung Näheres zur Ausgestaltung des Betreuungsverhältnisses niedergelegt, hat sich der Betreuer hieran grundsätzlich zu halten. Das Betreuungsgericht kann gegen ein unbegründetes Übergehen der Wünsche des Betreuten einschreiten (§ 1862 Abs. 3 S. 1 BGB).
Rz. 198
Auch bei der Entscheidung über den Abbruch von Heilbehandlungen sind die Wünsche des Verfügenden vorrangig zu beachten, was nach der oben zitierten Entscheidung des BGH umso mehr gilt. Dies zeigt auch der gesetzgeberische Handlungsbedarf, der durch die Einfügung des § 1827 Abs. 1 S. 1 BGB (Patientenverfügung) im Abschnitt der rechtlichen Betreuung im BGB aufgenommen wurde. Die Selbstbestimmung des Betroffenen bzw. Bürgers wurde nach langjährigen gesetzgeberischen Diskussionen und unter Beachtung der Rechtsprechung des BGH in Gesetzesform gegossen.
Praxistipp
Dem Betreuten ist nahezulegen, noch im einwilligungsfähigen Zustand eine separate Patientenverfügung abzufassen, in welcher diese Bereiche gesondert niedergelegt werden.
Rz. 199
Der Betreuer selbst beurteilt, ob ein niedergelegter Wunsch des Betreuten dessen Wohl zuwiderläuft. Diejenigen Wünsche, welche die gesamte Lebens- und Versorgungssituation des Betreuten merklich verschlechtern würden, sind unbeachtlich. Kann dieser (mutmaßliche) Wille oder Wunsch des Betreuten nicht festgestellt werden, ist im Zweifel ein Behandlungsabbruch nicht vorzunehmen.
Rz. 200
Verstößt der Betreuer gegen die in einer Verfügung geäußerten Wünsche des Betroffenen, wird dadurch zunächst nur das Innenverhältnis zwischen Betreuer und Betreutem berührt. Insoweit unterliegt der Betreuer aber der Kontrolle des Betreuungsgerichts. Bei wiederholter Vernachlässigung der Wünsche des Betroffenen können Zweifel an der Eignung des Betreuers begründet werden, was gar zu dessen Entpflichtung führen kann.
Rz. 201
Insgesamt ist jedoch davon auszugehen, dass eine grundsätzliche Bindung des Betreuers an die Wünsche des Betreut...