Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 13
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK (Schutz der persönlichen Lebensgestaltung) hat (entsprechend Art. 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte – fortan: Zivilpakt – bzw. Art. 7 [Schutz des Privat- und Familienlebens] oder Art. 33 der Grundrechtecharta [Schutz des Privat- und Berufslebens]) jede Person u.a. das Recht auf Achtung ihres Familienlebens (Schutz des Familienlebens). Art. 8 EMRK schützt bestehende Familien (deren Bestand vorausgesetzt wird, d.h. Familienleben i.w.S. [als Beziehung "zwischen Partnern, ob ehelich oder nicht, also zwischen Elternteilen und ihren Kindern, einerlei, ob es sich um legitime oder nichtlegitime Familien handelt, also auch die Beziehungen zu Personen, die eine De-facto-Familie bilden, die zusammenleben und bei denen also eine enge persönliche Beziehung besteht"] unter Einschluss gleichgeschlechtlicher Partnerschaften – ebenso wie Beziehungen eines zusammenlebenden gleichgeschlechtlichen Paares, das in einer stabilen de facto-Partnerschaft lebt). Zwischen dem aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft – mithin einer "facto-Beziehung" im gerade bezeichneten Sinne – hervorgegangenen Kind und seinen Eltern besteht kraft Gesetzes seit seiner Geburt eine Beziehung, die ein "Familienleben" gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK begründet.
Rz. 14
Die Regelung gewährt hingegen weder ein Recht
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auf Gründung einer Familie, das eine Gewährleistung in Art. 12 EMRK (Recht auf Eheschließung) erfährt, wonach Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter das Recht haben, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, noch ein Recht |
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auf Adoption. |
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Sie gewährt auch kein Recht darauf, dass sie unter der Bestimmung eines Gesetzes, die eine Scheidung erlaubt, einen günstigeren Ausgang des Scheidungsverfahrens garantiert. |
Rz. 15
In die Ausübung dieses Rechts darf eine Behörde nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Bei einem Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ist zu beachten, dass den Mitgliedstaaten gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ein Ermessensspielraum zukommt, dessen Umfang sich in Abhängigkeit zur Schwere des Eingriffs einerseits sowie in Bezug auf die mit dem Eingriff verfolgten Zwecke andererseits beurteilt: Infolgedessen ist bspw. der endgültige Entzug der elterlichen Sorge oder die Ersetzung der elterlichen Einwilligung in eine Adoption nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände gerechtfertigt, die zur Sicherung vorrangiger Bedürfnisse des Kindeswohls unerlässlich sind. Auch die Anordnung einer Pflegschaft über ein Kind stellt grundsätzlich nur eine vorübergehende Maßnahme dar, die die Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie zum Ziel hat. Dass ein Kind in eine für sein Heranwachsen günstigere Umgebung gebracht werden kann, rechtfertigt allein keine zwangsweise Entfernung aus der Betreuung seiner leiblichen Eltern – vielmehr müssen andere Umstände gegeben sein, aus denen sich die Notwendigkeit eines solchen Eingriffs in das Recht der Eltern nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auf Achtung ihres Familienlebens mit dem Kind ergibt: Das Kindeswohl verlangt, dass nur ganz "außergewöhnliche Umstände" dazu Anlass geben dürfen, die Familienbindungen zu zerstören, und dass alles unternommen wird, um die persönlichen Beziehungen zu erhalten und ggf. die Familie wiederherzustellen. Einschränkungen – wie bspw. Kontaktverbote zwischen Eltern und Kind – sind nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nur gerechtfertigt, wenn sich die Familie gegenüber dem Kind besonders "unwürdig" verhalten hat.
Rz. 16
Jede Vaterschaftsanerkennung und jede Vaterschaftsanfechtung begründen einen Eingriff in das Recht des Kindes auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, der gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur zulässig ist, wenn er "gesetzlich vorgesehen" (konkret: in Art. 339 Abs. 1 Code Civile F) und "in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte anderer notwendig" ist: Die Notwendigkeit des Eingriffs zum Schutz der Rechte anderer könne nur durch eine Abwägung der Interessen desjenigen, der die Vaterschaft anerkannt hat, und des Anfechtenden (konkret: des biologischen Vaters) geklärt werden, wobei den Gerichten ein weiter Ermessensspielraum zustehe, in dessen Rahmen dem Kindeswohl allerdings ein Vorrang eingeräumt werden müsse. "Gesetzlich vorgesehen" bedeutet, dass eine angegriffene Maßnahme eine Rechtsgrundlage im staatlichen Recht hat, die dem Rechtsstaatsprinzip entspricht, wobei das Gesetz für die Betroffenen angemessen zugänglich und so bestimmt sein muss, dass sie (notfalls mit...