Dipl.-Kfm. Michael Scherer
A. Vorbemerkung
Rz. 1
→ Dazu Aufgaben Gruppe 6
In diesem Kapitel wird es um die zur einwandfreien Berechnung der Wertgebühren erforderliche Ermittlung des Gegenstandswertes gehen. Im Wesentlichen ist der Gegenstandswert an drei Stellen in den Kostengesetzen geregelt, und zwar in den §§ 22 bis 33 RVG, in den §§ 39 bis 65 GKG sowie in den §§ 33 bis 56 FamGKG.
Merken Sie sich schon jetzt:
Es gibt keine korrekte Berechnung von Wertgebühren ohne vorherige richtige Ermittlung des Gegenstandswertes!
B. Allgemeine Hinweise (§ 23 RVG)
Rz. 2
Wie bereits weiter oben ausgeführt wurde (siehe § 1 Rdn 13 ff.: "Pauschgebühren"), hat in der Regel der Arbeitsaufwand des RA keinen Einfluss auf die Höhe der ihm zuwachsenden Gebühren, da diese, soweit das RVG nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet werden, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat, welchen das RVG als Gegenstandswert bezeichnet (§ 2 Abs. 1 RVG). Die Gebührenbestimmung nach dem Gegenstandswert ist der Regelfall im RVG – eine wichtige Ausnahme bilden die Gebühren in Strafsachen, bei denen es naturgemäß keinen Wert geben kann. Letztlich werden die Gebühren nicht nach dem Gegenstandswert berechnet, wenn es sich um Betragsrahmengebühren jedweder Art oder um Festgebühren handelt (siehe § 1 Rdn 10 ff.: "Der Gebührenbegriff"), sowie in bestimmten Fällen der Honorarvereinbarung (siehe § 2 Rdn 10 ff.).
Der Gegenstandswert ist der Wert, um den es bei der Tätigkeit des RA geht, z. B. der Betrag einer eingeklagten Forderung. Während das GKG (in § 3 Abs. 1 GKG) vom "Wert des Streitgegenstandes" (Streitwert) spricht, verwendet das RVG den allgemeinen Begriff "Gegenstandswert" (§ 2 Abs. 1 RVG), da es nicht nur auf Streitfälle, sondern auf die gesamte Berufstätigkeit des RA abstellt. In Familiensachen wird für die Gerichtsgebühren der Begriff "Verfahrenswert" verwendet (§ 3 Abs. 1 FamGKG).
Merke:
Geht es um wertabhängige Gerichtsgebühren, so wird der Wert Streitwert genannt und bei den Familiengerichten Verfahrenswert.
Geht es um wertabhängige Anwaltsgebühren, dann nennt man den Wert Gegenstandswert.
Rz. 3
Wer nun die Vorschriften über die Ermittlung des Gegenstandswertes für die Anwaltsgebühren finden will, wird natürlich zuerst im RVG danach suchen. Tun Sie dies bitte jetzt. Sie werden auf die §§ 22 bis 33 im 4. Abschnitt des RVG stoßen, die nun aber dummerweise so gut wie keine allgemeinen Wertberechnungsvorschriften enthalten. In den §§ 23a bis 31b RVG finden sich Wertvorschriften für spezielle Anwendungsfälle, wie z. B. die Verfahren über die Prozesskostenhilfe, die Zwangsvollstreckung, die Zwangsversteigerung oder das Insolvenzverfahren. Die einzige allgemeine Wertvorschrift ist in § 23 RVG enthalten. Dort lassen sich jedoch nur Verweise auf andere Kostengesetze finden, so in § 23 Abs. 1 RVG auf das GKG (und dort indirekt auf die ZPO) bzw. in Familiensachen auf das FamGKG sowie in § 23 Abs. 3 S. 1 RVG auf das GNotKG. Eigene Wertvorschriften besitzt das RVG in § 23 Abs. 3 S. 2 nur hilfsweise.
Merke:
Der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren wird vornehmlich nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften (GKG, ZPO und FamGKG) ermittelt oder, wenn kein Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren besteht, nach den in § 23 Abs. 3 RVG bestimmten Wertvorschriften des GNotKG.
Im Folgenden müssen wir uns also zuerst einmal mit den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften befassen, d. h. mit den entsprechenden Vorschriften des GKG und der ZPO sowie des FamGKG.
I. Die Wertvorschriften nach GKG, ZPO und FamGKG
Rz. 4
Das RVG kennt also bis auf wenige hilfsweise anzuwendende Vorschriften keine eigenen Wertberechnungsvorschriften. Für gerichtliche Verfahren verweist § 23 Abs. 1 RVG auf die für die Gerichtsgebühren geltenden Vorschriften. Sie werden nun sehr richtig vermuten, dass diese Vorschriften im GKG enthalten sein werden. Schlagen Sie dieses Gesetz bitte jetzt auf.
Sie werden feststellen, dass auch das GKG noch nicht alle Regeln enthält, die zur Ermittlung des Gegenstandswertes notwendig sind, da in § 48 Abs. 1 S. 1 GKG gesagt ist, dass für die Wertberechnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die §§ 3 bis 9 der ZPO gelten, soweit das GKG in seinen sonstigen Wertvorschriften keine anderen Bestimmungen enthält. Die vorstehend genannten Wertvorschriften der ZPO sind also – je nach Fall – auch zur Wertermittlung heranzuziehen. Auch einige andere Gesetze können Wertbestimmungen enthalten, so z. B. § 182 InsO.
Rz. 5
In Familiensachen (z. B. Ehescheidung und Folgesachen) werden die Werte nur nach den §§ 33 bis 52 FamGKG bestimmt. Die Werte werden dort Verfahrenswert genannt.
An dieser Stelle wird es angebracht sein, Ordnung in diese etwas verwirrende Anzahl der in verschiedenen Gesetzen enthaltenen und teilweise sogar miteinander konkurrierenden Wertvorschriften zu bringen. Dazu ist es notwendig, den Begriff "Wert" nach den in den einzelnen Gesetzen unterschiedlichen Anwendungsarten zu unterteilen, denn jedes Gesetz verwendet sozusagen seinen eigenen Wertbegriff.
1. Die Arten des Wertes im Zivilprozess und im Gebührenrecht
Rz. 6
Ein "Wert" wird sowohl im Verfahrensrecht als auch im Kostenrecht zu verschiedene...