Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 56
Grundsätzlich ist der Rechtsanwalt an Weisungen, die ihm der Mandant erteilt, gebunden. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 665 BGB, da es sich bei dem Anwaltsvertrag um einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 667 ff. BGB) handelt, für welchen die Vorschriften des Auftragsrechts entsprechend anwendbar sind.
Rz. 57
Die Weisungsgebundenheit des Rechtsanwalts kollidiert jedoch zuweilen mit dem Gebot der Beschreitung des sichersten Weges: Nicht jede aus der Laiensphäre erteilte Anweisung des Mandanten stellt schließlich rechtlich gesehen auch den sichersten Weg zur Erreichung des erstrebten Zieles dar. Andererseits trägt der Mandant aber auch das volle Kosten- und Erfolgsrisiko, so dass es gerechtfertigt erscheint, wenn sich der Rechtsanwalt an ausdrückliche Vorgaben seines Mandanten hält. Kommt der Rechtsanwalt seiner Informations- und Aufklärungspflicht gegenüber dem Mandanten in vollem Umfang nach, dürfte das Spannungsfeld zwischen anwaltlicher Weisungsgebundenheit und der Pflicht, Risiken zu vermeiden, jedoch gering zu halten sein: Dem Mandanten ist es dann in aller Regel möglich, sowohl Notwendigkeit als auch Inhalt der Weisung frühzeitig ab- und richtig einzuschätzen.
Meist wird der Mandant dem Anwalt ohnehin freie Hand bei der Wahl der jeweils zu treffenden richtigen Einzelmaßnahme lassen. Schließlich beruht der Anwaltsvertrag auf einem Vertrauensverhältnis zwischen Auftraggeber und sachkundigem Auftragnehmer. Es ist daher keineswegs so, dass der Rechtsanwalt vor jeder vorzunehmenden Maßnahme zunächst "grünes Licht" vom Mandanten einholen muss.
Rz. 58
In bestimmten Fällen – nämlich immer dann, wenn die Rechte des Mandanten in erheblichem Maße finanziell oder endgültig und unwiderruflich betroffen sind – ist der Rechtsanwalt jedoch an die vorherige Einholung einer Weisung gebunden. Dies ist beispielsweise der Fall bei
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Klageerhebung |
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prozessualen Anerkenntnissen oder Verzichtserklärungen |
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Einlegung, Verzicht und Rücknahme von Rechtsmitteln |
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Abschluss eines (außer-)gerichtlichen Vergleichs. |
Rz. 59
Aufgrund seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege gibt es aber auch Bereiche, in denen der Rechtsanwalt nicht an Weisungen des Mandanten gebunden ist, nämlich wenn
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die geforderte Maßnahme rechtswidrig oder sittenwidrig ist |
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das Erreichen des verfolgten Ziels aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen aussichtslos ist |
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der Rechtsanwalt bei Ausübung der Weisung des Mandanten gegen die anwaltlichen Berufspflichten verstößt. |