Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 59
Die anwaltliche Verpflichtung umfasst eine Dienstleistung "höherer Art", welche aufgrund besonderen Vertrauens übertragen worden ist, so dass sich beide Seiten jederzeit und ohne Angabe von Gründen vom Vertrag lösen können. Es gelten aber für den Rechtsanwalt auch Ausnahmen:
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Besonderheiten betreffen beigeordnete Rechtsanwälte. Hier muss beantragt werden, die Beiordnung aufzuheben, vorausgesetzt, es liegen dafür wichtige Gründe vor. Das ist der Fall, wenn das Vertrauensverhältnis nicht mehr besteht. |
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Ein Rechtsanwalt darf nicht zur Unzeit, z.B. kurz vor einer mündlichen Verhandlung, kündigen und muss ggf. zur Schadensverhinderung noch fristwahrende Maßnahmen vornehmen, wie z.B. einen Fristverlängerungsantrag stellen. |
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Dem Mandanten ist selbstredend mitzuteilen, nicht mehr für ihn tätig zu werden. Zudem muss der Rechtsanwalt – sofern noch nicht erfolgt – auf bevorstehende Fristabläufe (insbesondere Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen) hinweisen. |
Rz. 60
Verstößt der Anwalt gegen das Verbot, zur Unzeit zu kündigen, ist zwar die Kündigung regelmäßig wirksam. Der Anwalt handelt aber rechtswidrig und kann sich möglicherweise schadensersatzpflichtig machen.
Rz. 61
Der Mandant kann ohne Weiteres kündigen, die erteilte Vollmacht widerrufen und einen anderen Anwalt beauftragen. Der "neue" Anwalt sollte seinen Mandanten danach fragen, ob das bisherige Mandatsverhältnis endgültig erloschen ist und, falls dies noch nicht der Fall ist, die Kündigung umgehend für den Mandanten nachholen. § 15 Abs. 1 BORA bestimmt insoweit, dass der Rechtsanwalt, der das einem anderen Rechtsanwalt übertragene Mandat übernimmt, sicherzustellen hat, dass der früher tätige Rechtsanwalt von der Mandatsübernahme unverzüglich benachrichtigt wird. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Rechtsanwalt nur beratend tätig wird, § 15 Abs. 3 BORA.
Rz. 62
Im Sinne des Rechtsuchenden sollte er prüfen, inwieweit durch eine Kündigung und den Wechsel der Anwaltskanzlei wesentliche wirtschaftliche Nachteile drohen, etwa dass Gebühren doppelt gezahlt werden müssen.
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Besteht ein wichtiger Grund, dem Anwalt das Mandat zu entziehen, kann der Mandant mit Schadensersatzansprüchen (wegen der nunmehr entstandenen doppelten Belastung zur Zahlung von Anwaltsgebühren) gegen den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts aufrechnen und diese Forderung damit zum Erlöschen bringen. |
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Liegt kein wichtiger Grund zum Mandatsentzug vor, sind die Gebühren zu entrichten. Das gilt insbesondere auch, wenn ein Zeithonorar vereinbart war. Der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts bleibt auch dann bestehen, wenn dieser einen wichtigen Grund zur Kündigung hatte, z.B. wenn der Mandant trotz Mahnung die Gebühren nicht gezahlt hat. |
Rz. 63
Bei Prozessen vor höheren Gerichten bleibt trotz einer Kündigung die Rechtsanwaltskanzlei so lange zustellungsbevollmächtigt, bis die andere Partei und das Gericht unterrichtet sind und eine andere Beauftragung besteht, § 87 Abs. 1, 2. Hs. ZPO. Dies gilt insbesondere für die Rücksendung von Empfangsbekenntnissen, zu der ein Anwalt bis zur Vertretungsanzeige eines neuen Anwalts verpflichtet bleibt. Über die Entgegennahme der Zustellungen hat der Anwalt seinen ehemaligen Mandanten unverzüglich zu unterrichten.