Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 85
Der Rechtsanwalt muss durch das Anlegen von – elektronischen (§ 50 Abs. 4 BRAO) oder analogen – Handakten ein geordnetes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit geben können, § 50 Abs. 1 BRAO. Wird die anwaltliche Handakte ausschließlich elektronisch geführt, muss sie ihrem Inhalt nach einer analogen Akte entsprechen. Sie muss speziell zu Fristnotierung ebenso wie diese verlässlich Auskunft geben können und darf keine geringere Überprüfungssicherheit bieten.
Jeder Anwalt ist verpflichtet, jeder bestehenden Akte von Anfang an eine Prozessregisternummer zuzuordnen.
Rz. 86
Zur Handakte des Rechtsanwalts gehört alles, was aus Anlass seiner Tätigkeit in einer bestimmten Angelegenheit in seine Hände gelangt ist, speziell Originalurkunden, Schriftsätze, gerichtliche Verfügungen und Beschlüsse, Urteile, Postzustellungsurkunden, der komplette Schriftwechsel zwischen ihm und seinem Mandanten (selbst gefertigte Schriftstücke "Aktenexemplare"), Belege personenbezogener Daten des Mandanten, eine tabellarische Chronik eingegangener und weitergeleiteter Fremdgelder usw. Eigene, für den internen Gebrauch gefertigte Notizen sind von der Herausgabepflicht aber nicht umfasst.
Um die Vollständigkeit der digitalen Akte zu gewährleisten, müssen die Postein- und -ausgänge aus dem beA in die Handakte exportiert werden, zumal das beA weder zum Archivieren gedacht noch geeignet ist. Die Nachrichten werden nach 90 Tagen in den Papierkorb verschoben und nach weiteren 30 Tagen gelöscht.
Rz. 87
Primär dient die Aktenführung dem Rechtsanwalt selbst, damit dieser das Mandat fachgerecht führen kann ("unverzichtbares Arbeitsmittel"), aber auch als etwaiges Beweismittel für die korrekte Bearbeitung des Mandats (im Regressfall oder auch bei straf- oder anwaltsgerichtlichen Ermittlungsverfahren). In Aufsichts- und Beschwerdesachen hat der Rechtsanwalt unter bestimmten Voraussetzungen der Rechtsanwaltskammer auf Verlangen seine Handakten vorzulegen, § 56 Abs. 1 BRAO.
Rz. 88
Der Rechtsanwalt muss seine Handakten grundsätzlich für die Dauer von sechs Jahren nach Beendigung des Auftrags aufbewahren, § 50 Abs. 1 S. 2 BRAO. Die Frist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Auftrag beendet wurde, § 50 Abs. 1 S. 3 BRAO.
Für Kostennoten und Rechnungen gilt § 14b UstG mit einer Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren. Die betreffenden Rechnungen sollten von Anfang an gesondert aufbewahrt werden, damit sie nicht gleichzeitig mit der Akte vernichtet werden.
Weil abgelegte Papier-Akten viel Stauraum verlangen, darf auch auf einen externen Dienstleister zurückgegriffen werden (soweit die Anforderungen an Datenschutz und Verschwiegenheit erfüllt werden). Je nach Anbieter werden die Akten dann abgeholt, gescannt, als durchsuchbare PDF ausgegeben und nach Freigabe durch die Anwaltskanzlei die noch benötigten Originaldokumente zurückgegeben und die Papiere im Übrigen vernichtet.
Ist eine Haftung mit Sicherheit ausgeschlossen, kommt auch ein Vorgehen nach § 50 Abs. 2 S. 3 BRAO in Betracht: Diese Verpflichtung, die Akten sechs Jahre aufzubewahren, erlischt, wenn der Rechtsanwalt seinen Mandanten aufgefordert hat, die Handakten abzuholen und dieser dem nicht innerhalb sechs Monaten nachgekommen ist. Ein frühzeitiges Vorgehen nach § 50 Abs. 2 BRAO kann durchaus ratsam sein. Wenn er nämlich erst nach sechs Jahren feststellt, dass noch Originalunterlagen vorhanden sind, läuft er Gefahr, seinen Mandanten nicht mehr ausfindig machen zu können.
Anschließend – nach Ablauf von sechs Monaten oder sechs Jahren – können die Akten unter Wahrung der Verschwiegenheitsverpflichtung vernichtet werden, analoge Akten am besten per Schredder ab Sicherheitsstufe 5 der DIN 66399. Vermögenswerte, z.B. vollstreckbare Titel, sind zuvor zu entnehmen. Digitale Akten können per Löschassistenten archiviert, die jeweilige Aufbewahrungsfrist hinterlegt und die Akte anschließend – auf Befehl – nicht wieder herstellbar gelöscht werden.
Rz. 89
Eine Herausgabepflicht besteht nach Beendigung des Mandats gemäß § 667 BGB i.V.m. § 50 Abs. 1 BRAO. Dieser Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der Handakten verjährt aber nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften. Die berufsrechtlichen Bestimmungen über die Länge der Aufbewahrungsfrist haben keinen Einfluss auf den Lauf der Verjährung. Aus § 50 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 BRAO ergibt sich ein hinreichender Grund, den Herausgabeanspruch des Mandanten als verhaltenen Anspruch oder die Aufbewahrungsfrist als die Verjährung verdrängende materiell-rechtliche Ausschlussfrist einzuordnen.
Der Mandant kann den Inhalt seiner Handakte auch auf Datenträger herausverlangen, § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO. Ist der Mandant nicht mit elektronischen Medien bzw. mit kompatiblen Softwareprogrammen ausgestattet, ist der Rechtsanwalt verpflichtet, seinem Mandanten die Handakte in Papierform auszuhändigen. Das Herausgaberecht besteht jedoch nicht in Bezug auf die Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt und Mandant, § 50 Abs. 2 S. 4 BRAO. Allerdings s...