Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 1814
Grundlage zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit ist das bereinigte Nettoeinkommen.
Ggf. sind sonstige, auch fiktive Einkünfte zuzurechnen.
Rz. 1815
Inwieweit einem Unterhaltsverpflichteten im Mangelfall fiktive Nebenverdienste anzurechnen sind, ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob die zeitliche und physische Belastung durch die ausgeübte und die zusätzliche Arbeit dem Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung auch der Bestimmung, die die Rechtsordnung zum Schutz der Arbeitskraft vorgibt, abverlangt werden kann.
Rz. 1816
Die Darlegungs- und Beweislast zur Frage der Zumutbarkeit liegt insoweit bei dem Unterhaltsverpflichteten. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 5.3.2003 sind folgende, im Einzelfall zu prüfende Erfordernisse zu berücksichtigen:
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Beachtung des Arbeitszeitgesetzes (§§ 3, 5, 6) |
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Berücksichtigung der Arbeitsmarktsituation |
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Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit einer Nebentätigkeit |
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Beachtung gesundheitlicher Beeinträchtigung |
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Berücksichtigung der Arbeits- und Lebenssituation |
Rz. 1817
Unbeeindruckt hiervon hat das OLG Hamm die Anforderungen an die Arbeitstätigkeit des Unterhaltspflichtigen (zur Vermeidung des Mangelfalles) hoch angesetzt:
Zitat
Auch bei Schichtarbeit und der Möglichkeit, auch samstags zum Dienst herangezogen zu werden, ist der Unterhaltsverpflichtete zur Aufnahme einer Nebentätigkeit verpflichtet, um den Mindestunterhalt seiner minderjährigen Kinder zu sichern.
Das OLG Köln meint, unter Beachtung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes sei jedenfalls eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 48 Stunden zumutbar.
Rz. 1818
Andererseits hat das OLG Hamm im Fall eines an 6 Tagen der Woche 8 Stunden täglich arbeitenden Hilfskellners erklärt, gegen seine Verpflichtung zur Nebentätigkeit spräche der Umstand, dass er seinen Haushalt allein besorgen müsse. Selbst bei Annahme einer Verpflichtung zu einer Nebentätigkeit an dem einzigen freien Tag oder am Wochenende kommen nach Ansicht des Gerichts nur zwei bis drei Stunden wöchentlich in Betracht, woraus allenfalls 100 EUR erzielt werden könnten, nicht aber – entgegen sonst vielfach vertretener Ansicht – der Höchstbetrag von 400 EUR im Rahmen der sog. Mini-Jobs.
Nach Auffassung des OLG Dresden ist bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit auf ein arbeitsvertragliches Verbot jeder Nebentätigkeit unbeachtlich, da ein solches Verbot nicht mit Art. 12 GG zu vereinbaren sei. Der Arbeitgeber habe auf schutzwürdige "familiäre Belange des Arbeitnehmers Rücksicht" zu nehmen.
Das OLG Hamm erklärt dazu jedoch, soweit der Arbeitgeber die erforderliche Genehmigung nicht erteile, sei es dem Unterhaltspflichtigen in der Regel nicht zumutbar, hiergegen arbeitsgerichtlich vorzugehen.
Rz. 1819
Die Leistungsfähigkeit muss im Übrigen nicht durch Mitwirkung einer Veräußerung des im Miteigentum stehenden Familienheims erhöht werden. Nach Rechtskraft der Scheidung (aber erst dann!) besteht die Möglichkeit der Durchführung einer Teilungsversteigerung des gesamten Objektes auch gegen den Willen des Miteigentümers.
Rz. 1820
In Ausnahme hiervon hat das OLG Stuttgart erklärt, dass in Ausnahmefällen eine frühere Teilungsversteigerung möglich ist. Voraussetzung sei neben einer hohen Zins- und Tilgungslast, dass der Unterhaltspflichtige, in dessen Alleineigentum das Familienheim steht, bereits das Scheidungsverfahren betreibt und damit zu erkennen gibt, dass er den mit dem Hauserwerb verbundenen Lebensplan selbst für gescheitert hält.
Rz. 1821
Bei Verlust der Arbeitsstelle ist die – übrigens sozialabgabenfreie – Abfindung Einkommensersatz und dient bis zum Erhalt einer gleichwertigen Arbeitsstelle zur Auffüllung des monatlichen Einkommens.
Rz. 1822
Hinweis
Der Unterhaltspflichtige darf die Abfindung nicht für sich verbrauchen. Er darf allenfalls unbedingt notwendige Anschaffungen daraus finanzieren.
Rz. 1823
Die Abfindung braucht nicht eingesetzt zu werden, um den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhaltsbedarf zu erhöhen.
Bei älteren Arbeitnehmern kann sie bis auf die Zeit zum voraussichtlichen Rentenbeginn verteilt werden.
Rz. 1824
Endet die Zeit der Arbeitslosigkeit vor Ablauf der prognostizierten Dauer, für die eine Abfindung umgelegt worden ist, ist der nicht verbrauchte Rest nicht dem Einkommen aus der neuen Erwerbstätigkeit hinzuzurechnen. Er ist wie gewöhnliches Vermögen zu behandeln, dessen in zumutbarer Weise erzielte oder erzielbare Erträgnisse als Einkommen zu behandeln sein können, während die Substanz im Regelfall außer Ansatz bleibt.
Rz. 1825
Teile der Abfindung können für notwendige Anschaffungen (Anm.: konkret darzulegen und nachzuweisen) und zur Tilgung von Schulden verbraucht werden, sofern nicht unterhaltsbezogenes Verschulden einer Berufung auf den Verbrauch entgegensteht.
Rz. 1826
Die Strafhaft eines Unterhaltspflichtigen führt in der Regel zu seiner Leistungsunfähigkeit. Anderes gilt allerdings, wenn ein unterhaltsrechtli...