Rz. 886

Anders stellt sich die Situation im Falle gewillkürter Erbfolge dar, §§ 2077, 2268 BGB. Die Frage der Fortgeltung des testamentarischen Willens des Erblassers bedarf danach der Auslegung, und zwar in der folgenden Reihenfolge:[878]

Ausdrücklich erklärter Erblasserwille
Mutmaßlicher Erblasserwille
Hypothetischer Erblasserwille
Dispositive Auslegungsregel des § 2077 Abs. 1 BGB
 

Rz. 887

Vorrangig ist naturgemäß der ausdrücklich erklärte Erblasserwille zu berücksichtigen. Hat der Erblasser seinen Ehegatten ausdrücklich oder durch konkrete Formulierungen ersichtlich zum Erben auch für den Fall der Ehescheidung einsetzen wollen, ist dieser Wille maßgeblich.

 

Rz. 888

Finden sich solche Erklärungen nicht, ist durch individuelle Testamentsauslegung der mutmaßliche Erblasserwille zu ermitteln, § 2077 Abs. 3 BGB.[879]

 

Rz. 889

Lässt sich dieser Wille nicht ermitteln, weil etwa der Erblasser den Scheidungsfall nicht bedacht hat, ist der hypothetische Wille zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu erforschen.[880] Regelmäßig wird man annehmen müssen, dass der Erblasser den Ehegatten im Falle der Scheidung gerade nicht bedacht hätte.[881] Nicht ausreichend ist ein grundsätzlich spannungsfreies oder freundschaftlich gebliebenes Verhältnis zwischen den Ehegatten.[882] Haben sich Eheleute im gemeinschaftlichen Testament aber z.B. nicht wechselseitig eingesetzt, sondern direkt die gemeinsamen Kinder bestimmt, kann dies für eine Geltung unabhängig von einem Scheidungsverfahren sprechen, ohne weitere Anhaltspunkte wohl nicht beim Einsetzen als nicht befreiter Vorerbe.[883]

 

Rz. 890

Erst wenn auch ein hypothetischer Wille des Erblassers nicht feststellbar ist, gilt die dispositive Auslegungsregel des § 2077 Abs. 1 BGB mit der Folge der Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung.[884]

Die Beweislast trägt derjenige, der sich auf die testamentarische Verfügung zu seinen Gunsten beruft. Der überlebende Ehegatte hat daher zu beweisen, dass der Erblasser die Verfügung auch für den Fall der Ehescheidung getroffen hat bzw. getroffen hätte.

[878] Vgl. Czubayko, ZEV 2009, 551 ff., 553 f.
[879] BGH FamRZ 1960, 28, 29; BayObLG ZEV 2001, 190.
[880] BGH FamRZ 1961, 366.
[882] BayObLG FGPrax 1995, 114; Czubayko, ZEV 2009, 551 ff., 554.
[883] So aber OLG Brandenburg OLGR 1995, 138.
[884] BGH NJW 2003, 2095; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2077 Rn 1.

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