Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
1. Normzweck und Anspruchsvoraussetzungen
Rz. 1280
§ 1573 Abs. 2 BGB enthält eine Lebensstandardgarantie. Der seiner Erwerbsobliegenheit genügende Unterhaltsberechtigte soll zusätzlich Unterhaltsansprüche geltend machen können, um den eheangemessenen Lebensstandard auch nach der Scheidung zu sichern.
Nach dem bis zum in Kraft tretenden Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes vom 1.1.2008 geltenden Recht ist dieser Anspruch in der Regel als lebenslange Lebensstandardgarantie für die Zeit nach der Scheidung aufgrund nachwirkender ehelicher Mitverantwortung angesehen worden.
Die Regelung sollte einen sozialen Abstieg des bedürftigen Ehegatten verhindern (bei Ehefrauen das Stichwort: Einmal Arztfrau, immer Arztfrau). Das Vertrauen der Ehegatten auf die Teilhabe an dem in der Ehe erreichten wirtschaftlichen und sozialen Standard sollte geschützt werden.
Rz. 1281
Bereits in seiner Entscheidung vom 12.4.2006 hatte der BGH darauf hingewiesen, dass eine zeitliche und/oder höhenmäßige Begrenzung des Unterhaltes möglich sein muss. Der Gesetzgeber hat dies mit der am 1.1.2008 in Kraft getretenen Unterhaltsrechtsreform nachvollzogen und den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Ehegatten nach Scheidung der Ehe unter Wahrung gewisser nachehelicher Loyalitäts- und Solidaritätspflichten postuliert.
Rz. 1282
Die Rechtsprechung hat dann auch früh darauf hingewiesen, dass § 1573 Abs. 2 BGB keine von ehebedingten Nachteilen unabhängige Lebensstandardgarantie im Sinne einer fortwirkenden Mitverantwortung bietet. Zur Begründung des Anspruches auf Aufstockungsunterhalt wird seitdem nicht mehr allein entscheidend auf die Ehedauer, sondern darauf abgestellt, ob die nacheheliche Einkommensdifferenz einen ehebedingten Nachteil enthält, der sodann einen dauerhaften unterhaltsrechtlichen Ausgleich zugunsten des bedürftigen Ehegatten rechtfertigen kann.
Rz. 1283
Für die Frage im Übrigen, ob es sich um eine Ehe von langer Dauer handelt, die zur Begründung eines – sodann – nicht durch § 1578b BGB befristbaren Anspruch handelt, ist maßgeblich der Regelungszweck der Gewährleistung von Vertrauensschutz, so dass neben der zeitlichen Dauer der Ehe auch andere Aspekte zu berücksichtigen sind. Ausschlaggebend ist letztlich die Frage, ob und ggf. inwieweit im Interesse der Verfolgung eines gemeinsamen Lebensziels wirtschaftliche und finanzielle Verflechtungen und Abhängigkeiten eingetreten sind.
Rz. 1284
Voraussetzung für die Geltendmachung eines Anspruches auf Zahlung von Aufstockungsunterhalt ist:
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Es besteht kein anderweitiger Anspruch nach §§ 1570, 1571, 1572, 1573 Abs. 1, 1575 oder 1576 BGB, |
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der Bedürftige übt eine angemessene Erwerbstätigkeit aus oder müsste sie ausüben, |
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zwischen den (früheren) Ehegatten besteht ein nicht nur unerhebliches Einkommensgefälle, |
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Vorliegen des maßgeblichen Einsatzzeitpunktes. |
Bestehen Ansprüche des Berechtigten vollständig aus §§ 1570, 1571 oder 1572 BGB besteht der Unterhaltsanspruch nach diesen Vorschriften in einem Anspruch auf den vollen Unterhalt. Damit kann in solchen Fällen auch kein Anspruch nach § 1573 Abs. 2 BGB entstehen. Bei teilweiser Berechtigung aus den vorgenannten Vorschriften besteht zusätzlich ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB zur Deckung des vollen Bedarfs (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB).
Rz. 1285
Da § 1573 Abs. 2 BGB eine Erwerbsobliegenheit voraussetzt, die bei Ansprüchen nach §§ 1575 und 1576 BGB aufgrund der besonderen Umstände fehlt, sind solche Ansprüche ebenfalls gegenüber Ansprüchen auf Aufstockungsunterhalt vorrangig.
2. Angemessene Erwerbstätigkeit
Rz. 1286
Der frühere Ehepartner hat nach Scheidung der Ehe in der Regel einer Vollzeittätigkeit nachzugehen.
Eine angemessene Erwerbstätigkeit kann aber auch in der Ausübung von zwei Teilzeitbeschäftigungen möglich sein. Wenn beispielsweise eine mit 25 Wochenstunden bemessene Erwerbstätigkeit zur Erfüllung der Erwerbsobliegenheit nicht ausreicht, kann die Aufnahme einer Nebentätigkeit zur Erfüllung dieser Obliegenheit führen.
Rz. 1287
Umgekehrt kann von einem teilzeitbeschäftigten (früheren) Ehegatten, auch wenn er zur Aufgabe seines Teilarbeitsplatzes nicht verpflichtet ist, verlangt werden, eine weitere Teilzeittätigkeit zur Unterhaltssicherung aufzunehmen. Die Übernahme von zwei Teilzeittätigkeiten kann dann eine angemessene Erwerbstätigkeit im Sinne des § 1573 Abs. 1 BGB sein.
Übt der Berechtigte eine zumutbare angemessene Erwerbstätigkeit nicht aus, müssen fiktiv erzielbare Einkünfte zugerechnet werden. Bleiben danach Unterschiede in den Einkünften, muss der Unterhalt bis zur vollen Bedarfsdeckung aufgestockt werden.