Dr. iur. Thilo Mahnhold, Dr. Claudia Schramm
Rz. 42
Neben der Frage, ob der Arbeitgeber zur Anordnung von Überstunden bzw. Mehrarbeit einseitig berechtigt ist, sollte ein Arbeitsvertrag auch die Frage beantworten, ob und in welchem Umfang vom Arbeitnehmer tatsächlich geleistete Überstunden zu vergüten sind. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nach § 612a BGB nur zur Gewährung der vereinbarten Vergütung für die vereinbarte Arbeitsleistung verpflichtet. Wurde insoweit ein zeitlicher Umfang (Regelarbeitszeit) festgelegt, ist der Arbeitgeber zunächst nur zur Vergütung der vereinbarten Regelarbeitszeit verpflichtet. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitsstunde oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht.
Rz. 43
Zusätzliche Tätigkeiten, die der Arbeitnehmer über die vertraglich vereinbarte Regelarbeitszeit hinaus leistet, muss der Arbeitgeber grundsätzlich nur vergüten, wenn und soweit er die Leistung der Überstunden veranlasst hat oder sie ihm zuzurechnen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob sich eine Vergütungspflicht aus dem Arbeitsvertrag selbst, aus Tarifvertrag oder – in Ermangelung solcher Regelungen – unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbar aus § 612 Abs. 1 BGB ergibt. Dies wird angenommen, wenn die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind; die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt der Arbeitnehmer.
1. Außertarifliche Arbeitnehmer
a) Anspruch auf Vergütung von Überstunden
Rz. 44
Existiert keine individualvertragliche oder kollektive Regelung zur Vergütung veranlasster und zurechenbarer Überstunden, kann sich ein Vergütungsanspruch aus § 612 Abs. 1 BGB ergeben, der hierfür eine berechtigte Vergütungserwartung des Arbeitnehmers voraussetzt. Eine solche berechtigte Erwartung besteht nicht in Fällen "deutlich herausgehobener Vergütung" bzw. bei einem "Entgelt über der Betragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung". Eine ausdrückliche gesetzliche Vergütungspflicht ist bei Auszubildenden in § 17 III BBiG normiert, wonach eine über die vereinbarte regelmäßige tägliche Ausbildungszeit hinausgehende Beschäftigung besonders zu vergüten oder durch entsprechende Freizeit auszugleichen ist.
b) Art und Höhe der Vergütung von Überstunden
Rz. 45
Gesetzliche Regelungen dahingehend, in welcher Art bzw. Höhe Überstunden zu vergüten sind, existieren nicht. In Ermangelung einer kollektiven oder individualvertraglichen Regelung gilt – wenn eine berechtigte Vergütungserwartung i.S.v. § 612 Abs. 1 BGB zu bejahen ist – grundsätzlich eine Grundvergütung für die Überstunden in Höhe des entsprechenden Bruchteils der Überstunden am Grundgehalt gem. § 612 Abs. 1 BGB als stillschweigend vereinbart.
Rz. 46
Soweit keine kollektivrechtlichen Regelungen greifen, wird in der Praxis arbeitsvertraglich häufig die Leistung von Überstundenvergütung oder die Gewährung von bezahltem Freizeitausgleich vereinbart. Der Arbeitgeber kann sich insoweit ein Wahlrecht vorbehalten, dessen Ausübung durch § 315 BGB begrenzt ist. Die Anordnung des Freizeitausgleichs muss ebenfalls billigem Ermessen i.S.v. § 315 BGB entsprechen.
Die Höhe der Überstundenvergütung unterliegt als Hauptleistungsabrede lediglich einer Transparenzkontrolle und darf nicht sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB sein. Zwar sehen viele Tarifverträge Zuschläge für Überstunden vor, eine allgemeine Verpflichtung Überstunden höher zu dotieren als Tätigkeiten innerhalb der Regelarbeitszeit besteht indes nicht. Zudem sind bei der Bemessung die Bestimmungen des Mindestlohngesetzes zu beachten (§§ 1, 3 MiLoG). Auch wenn der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn mit jeder geleisteten Arbeitsstunde entsteht, ist der Arbeitgeber nicht gehalten – zusätzlich zum bzw. unabhängig vom Grundgehalt – für jede Überstunde zumindest den Mindestlohn zu leisten. Ausgehend von einer "monatlichen Durchschnittsbetrachtung" darf unter Ansatz der Regelarbeitszeit und der geleisteten Überstunden vielmehr die auf eine geleistete Arbeitsstunde entfallende Vergütung den Mindest(stunden)lohn nicht unterschreiten. Bei der Leistung von Überstundenvergütung ist dies automatisch erfüllt, wenn jede Überstunde mit dem entsprechenden Anteil am Grundgehalt oder unmittelbar in Höhe des Mindestlohns ausgeglichen wird.