Rz. 2

Das Problem der Erledigung stellt sich nicht erst mit der Rechtshängigkeit, sondern auch vor Rechtshängigkeit. Folgende Fallkonstellationen kommen in der täglichen Praxis immer wieder vor:

Ein Mandant hat seinem Anwalt den Auftrag erteilt, einen Schuldner unter Fristsetzung zur Zahlung aufzufordern. Zahlt er nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist, soll der Anwalt ohne weitere Zahlungsaufforderung Klage erheben.

Der Anwalt hat daraufhin den Schuldner aufgefordert, die Zahlung auf eines seiner Konten zu leisten und unter Fristsetzung für den Fall der Nichtzahlung Klage angedroht; seine Kostennote hat er dem Schreiben beigefügt.

I. Variante 1 – Teilweise Leistung des Schuldners

 

Rz. 3

Der Schuldner zahlt innerhalb der ihm gesetzten Frist den Forderungsbetrag nebst Zinsen, nicht jedoch die Kosten des Anwaltes.

Ob er diese noch zu zahlen hat, hängt davon ab, ob er bereits im Verzug (§ 286 BGB) war, als er die Zahlungsaufforderung des Anwaltes erhielt. Denn wenn die Zahlungsaufforderung des Anwaltes die erste Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 BGB war, ist die Beauftragung des Anwaltes nicht Verzugsfolge, sondern sie hat den Verzug überhaupt erst ausgelöst, so dass der Gläubiger die Anwaltskosten von seinem Schuldner nicht als Verzugskosten ersetzt verlangen kann.

II. Variante 2 – Leistung auf falsches Konto

 

Rz. 4

Der Schuldner hat innerhalb der Frist gezahlt, aber nicht auf das Konto des Anwaltes, sondern auf das des Gläubigers. Da dieser seinen Anwalt nicht darüber informiert, erhebt dieser Klage auf Zahlung eines bereits geleisteten Betrages. Wenn in diesem Fall der Schuldner tatsächlich alles gezahlt hat, nämlich Hauptforderung, Zinsen und auch die Anwaltskosten, bleibt dem Kläger nichts anderes übrig als die Klage zurückzunehmen. Die angefallenen Prozesskosten hat der Kläger zu tragen, der seinen Anwalt von dem Forderungseingang hätte in Kenntnis setzen müssen.

Hat der Beklagte aber nicht alles gezahlt, etwa nur die Hauptforderung beglichen, so ist der Rechtsstreit vom Kläger mit dem Antrag, "den Beklagten zu verurteilen, X EURO nebst … Zinsen abzüglich gezahlter X EURO zu zahlen" fortzusetzen. Da der geleistete Betrag X gemäß § 367 Abs. 1 BGB zunächst auf die Zinsen und erst danach auf die Hauptforderung anzurechnen ist, ist immer noch ein Teil der Hauptforderung anhängig.

Selbst wenn der Beklagte sich bereit erklärt, auch die Restforderung zu begleichen, sollte der Kläger seine Klage erst zurücknehmen, wenn der Beklagte auch tatsächlich alles gezahlt hat, um sich nicht des Druckmittels zu begeben, notfalls den Rechtsstreit fortzusetzen. Dem Gericht kann der Kläger anzeigen, es möge im Hinblick auf eine zu erwartende außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits die Terminsanberaumung zunächst noch zurückstellen.

III. Variante 3 – Leistung nach Anhängigkeit der Klage

 

Rz. 5

Der Schuldner zahlt vor Zustellung der Klage an den Beklagten aber nach Anhängigkeit. Er hat also im Zeitraum der Anhängigkeit, aber vor Rechtshängigkeit (§ 265 ZPO) gezahlt. Wenn jetzt beide Parteien nach Zustellung der Klage den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären, entscheidet das Gericht nach § 91a ZPO über die Kosten des Rechtsstreits.[4] Dass der Schuldner bereits vor Rechtshängigkeit gezahlt hat, ist unerheblich; denn das Gericht hat bei beiderseitiger Erledigterklärung gar nicht zu prüfen, ob sich der Rechtsstreit tatsächlich im Sinne des § 91a ZPO erledigt hat; es ist an die Erklärung der Parteien gebunden.[5]

Schließt sich der Beklagte jedoch der Erledigterklärung des Klägers nicht an, sondern bleibt er bei seinem Abweisungsantrag, und bleibt die Erledigterklärung des Klägers somit einseitig (vgl. Rdn 16), ist dessen Klage abzuweisen. Und zwar auch dann, wenn sein Klaganspruch bis zur Zahlung durch den Beklagten begründet war. Entscheidend ist, dass die "Erledigung" bereits vor Rechtshängigkeit eingetreten war und der Kläger deshalb den Rechtsstreit nicht einseitig für erledigt erklären kann.[6]

 

Rz. 6

Dem Kläger verbleiben in einem solchen Fall drei verschiedene Möglichkeiten:

Er kann die Klage mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zurücknehmen. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands, wenn der Anlass zur Klageeinreichung vor Rechtshängigkeit weggefallen und die Klage daraufhin zurückgenommen wird. Dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde (§ 269 Abs. 3 S. 3 a.E. ZPO). Voraussetzung ist, dass die Erledigung vor Rechtshängigkeit eintritt.[7] Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 ZPO ist ferner analog anwendbar, wenn der Anlass für die Klage bereits vor Anhängigkeit weggefallen ist und der Kläger hiervon ohne Verschulden keine Kenntnis hatte.[8] Eine analoge Anwendung bei Erledigung nach Rechtshängigkeit scheidet allerdings aus, weil der Kläger durch eine Erledigungserklärung eine für ihn günstige Kostenentscheidung erwirken kann.[9] Veranlassung zur Klage gibt ein Verhalten des Beklagten, aufgrund dessen der Schluss gerechtfertigt ist, dass ein Prozess notwendig ist, um das klägerische Recht durchzusetzen.[10] Eine Kostenentscheidung zulasten des Beklagten setzt – dem R...

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