Frank-Michael Goebel, Claudia Wagener-Neef
1. Echte Streitgenossen
Rz. 156
Vertritt der RA im Rahmen seiner Beiordnung wegen desselben Gegenstands mehrere Auftraggeber, gelten die gleichen Grundsätze wie auch beim RA ohne Beiordnung. Allerdings erhält der beigeordnete RA seine Gebühren gem. den in § 49 RVG festgelegten Beträgen, wobei sich die Gebühren bei einem Gegenstandswert über 30.000,00 EUR wegen der dort bestimmten Wertkappungsgrenze nicht mehr erhöhen.
Rz. 157
Beispiel
Der beigeordnete RA vertritt in einem erstinstanzlichen Rechtsstreit drei als Gesamtschuldner in Höhe des Betrages von 60.000,00 EUR in Anspruch genommene Auftraggeber.
Verfahrensgebühr gem. Nrn. 3100, 1008 VV RVG (1,9) aus über 30.000,00 EUR |
849,30 EUR |
2. Unechte Streitgenossen
Rz. 158
Wird der RA von mehreren Auftraggebern wegen verschiedener Gegenstände beauftragt, kann Nr. 1008 VV RVG nicht angewandt werden, sondern die Werte der Gegenstände werden gem. § 22 Abs. 1 RVG zusammengerechnet. Ergibt die Addition der Werte einen Betrag über 30.000,00 EUR, kommt dem RA der Umstand, dass er mehrere Streitgenossen vertritt, nicht mehr zugute. Die Tabelle der Wertgebühren aus der Staatskasse gem. § 49 RVG endet mit der letzten Stufe "über 30.000,00 EUR".
Damit ist der beigeordnete RA, der seine Mandanten wegen verschiedener Gegenstände bei einem Gesamtwert über 30.000,00 EUR vertritt, schlechter gestellt als der RA, dessen Mandanten echte Streitgenossen sind, weil dieser ja immerhin die Erhöhung der Gebühr aus dem Höchstwert des § 49 RVG erhält. Die Nichtberücksichtigung der Werterhöhung in diesen Fällen verstößt gegen den Grundsatz, dass dem RA bei einer Mehrfachvertretung auch höhere Gebühren zustehen als bei einer Einzelvertretung. Diese Regelung wird unter dem Gesichtspunkt, dass der Gesetzgeber den Arbeitsaufwand eines Mandates bei unechten Streitgenossen höher ansieht als bei echten, noch unverständlicher.
Eine gesetzliche Regelung für die Lösung dieser Ungleichbehandlung im Verhältnis zu dem nicht beigeordneten RA bei der Vertretung von mehreren Auftraggebern existiert nicht.
Diese gesetzliche Ungleichbehandlung ist von den Richtern erkannt worden, so dass die Rechtsprechung eine Lösung entwickelt hat, die mit analoger Anwendung von Nr. 1008 VV RVG für einen gewissen Ausgleich bei einer Mehrfachvertretung sorgt. Die Erhöhung ist auf die Gebühr vorzunehmen, die bei einem Gegenstandswert von bis 30.000,00 EUR anfällt und nicht auf die, die beim Gegenstandswert von über 30.000,00 EUR entstehen würde, da ansonsten der Bereich über 30.000,00 EUR doppelt berücksichtigt würde, nämlich einmal durch die Grundgebühr und zum anderen durch die Erhöhung der Gebühr.
Rz. 159
Beispiel
Der PKH-RA führt den Rechtsstreit für A wegen einer Forderung von 30.000,00 EUR und für B wegen einer weiteren Forderung von 50.000,00 EUR.
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG (1,3) aus 30.000,00 EUR aus Tabelle zu § 49 RVG |
535,60 EUR |
Erhöhte Verfahrensgebühr analog Nr. 1008 VV RVG (0,3) aus 30.000,00 EUR aus Tabelle zu § 49 RVG |
123,60 EUR |
Rz. 160
Belaufen sich die Einzelwerte mehrerer Gegenstände oder eines Gegenstandes unter 30.000,00 EUR, ist Wertgrundlage für die Erhöhung der Betrag, der sich nach Addition aller Werte ergibt abzüglich 30.000,00 EUR.
Rz. 161
Beispiel
Der beigeordnete RA vertritt zwei Gesamtschuldner wegen der Abwehr einer Forderung für A in Höhe von 25.000,00 EUR und für B von 15.000,00 EUR.
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG (1,3) aus 30.000,00 EUR (Tabelle § 49 RVG) |
535,60 EUR |
Erhöhte Verfahrensgebühr analog Nr. 1008 VV RVG (0,3) aus 10.000,00 EUR (Tabelle § 49 RVG) |
92,10 EUR |
Rz. 162
Praxistipp
Im Einzelfall muss geprüft werden, ob in diesen Fällen eine getrennte Vertretung durch verschiedene Rechtsanwälte als notwendig begründet werden kann. Dies dürfte etwa in Betracht kommen, wenn ein späterer Innenausgleich zu Interessenkonflikten führen könnte.
3. Beiordnung nicht für alle Streitgenossen
Rz. 163
Wurde PKH für alle Streitgenossen bewilligt, ist der Anspruch gegen die Staatskasse unproblematisch, da der beigeordnete RA seine Gebühren unter Einschluss der erhöhten Gebühr gem. Nr. 1008 VV RVG erhält.
Rz. 164
Werden mehrere Streitgenossen durch einen RA vertreten und ist nur einem Auftraggeber Prozesskostenhilfe bewilligt worden, werden unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung vertreten:
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Eine Meinung besagt, dass die PKH-Vergütung auf den Bruchteil der Wahlanwaltsvergütung begrenzt ist, an dem der Streitgenosse mit PKH am Rechtsstreit beteiligt ist. Mit dieser Bruchteilsauffassung soll verhindert werden, dass sich der Streitgenosse ohne PKH-Bewilligung seinem Anteil an der gesamtschuldnerischen Vergütungshaftung gegenüber dem RA auf Kosten der Staatskasse entledigt. |
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Eine andere Auffassung beschränkt den Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts auf die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG. Auch bei dieser vertretenen Meinung wird als Argument angeführt, dass der nicht bedürftige Auftr... |