A. Einführung
Rz. 1
In Umsetzung (Transformation) der Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (Digitale-Inhalte-Richtlinie, fortan: Digitale-Inhalte-RL), die auf eine Vollharmonisierung von Teilbereichen des mitgliedstaatlichen (Verbraucher-) Vertragsrechts betreffend Verträge über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen zielt, ist durch das entsprechende Umsetzungsgesetz vom 25.6.2021 zum 1.1.2022 (Art. 5) auch in Deutschland eine umfassende Regelung der Verträge über digitale Produkte im BGB erfolgt.
Vgl. zum Inkrafttreten im Einzelnen die Übergangsvorschriften in Art. 229 § 57 EGBGB (nachstehende Rdn 7).
B. Grundlagen
Rz. 2
Beachte
Grundsatz: Die Digitale-Inhalte-RL und die Warenkaufrichtlinie (im Folgenden: WKRL) – beide mit der Digital Market Strategy 2015 angekündigt – schließen sich in ihrem Anwendungsbereich jeweils gegenseitig aus (es gibt keine "Überlappung": Entweder gelangt die eine oder die andere Richtlinie zur Anwendung).
Nach Art. 3 Digitale-Inhalte-RL sind ihre Regelungen nicht auf Waren mit digitalen Elementen anzuwenden (vgl. § 327a Abs. 2 und 3 BGB).
Art. 3 Abs. 3 WKRL schließt die Anwendbarkeit ihrer Vorgaben auf Verträge über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen aus.
Aber: Die Digitale-Inhalte-RL und infolgedessen die §§ 327 ff. BGB sind nur dann auf Sachen mit digitalen Produkten ausgeschlossen, "wenn die digitalen Produkte für die Funktionsfähigkeit der Sachen unerlässlich sind" (digitale Elemente). "Voraussetzung des Ausschlusses (…) ist ferner, dass die digitalen Elemente Bestandteil des Kaufvertrags sind".
Rz. 3
Die Digitale-Inhalte-RL erfasst nur B2C-Verträge und ist damit reines Verbraucher(schutz)recht. "Der personelle Anwendungsbereich der Richtlinie hätte eine Erstreckung auf B2B-Verträge durch den Umsetzungsgesetzgeber im Wege der überschießenden Umsetzung nicht ausgeschlossen". Hiervon ist in Deutschland jedoch nicht Gebrauch gemacht worden.
Rz. 4
Aspekte einer vertragsrechtlichen Regelung für die Bereitstellung digitaler Inhalte finden sich in
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Art. 5 Digitale-Inhalte-RL (Leistungshandlung – Bereitstellung), |
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Art. 6–9 Digitale-Inhalte-RL (vertragsgemäße Leistung), |
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Art. 11 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Digitale-Inhalte-RL (relevanter Zeitpunkt für die Vertragsmäßigkeit), |
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Art. 13–16 Digitale-Inhalte-RL (Recht auf Abhilfe bei Vertragswidrigkeit), |
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Art. 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowie Abs. 3 Satz 2 Digitale-Inhalte-RL (Haftungs- und Verjährungsfristen), |
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Art. 12 und 14 Abs. 6 Satz 2 Digitale-Inhalte-RL (Beweislastverteilung), |
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Art. 16 und 17 Digitale-Inhalte-RL (Rückabwicklung beendeter Verträge), |
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Art. 16 Abs. 4 Digitale-Inhalte-RL (Änderung digitaler Inhalte u.a.). |
Nicht erfasst wird in Bezug auf die Gewährleistung das Schadensersatzrecht.
Vorarbeiten (Gesetzesmaterialien):
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Regierungsentwurf, BT-Drucks 19/27653 |
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Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks 19/30951 |
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Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 19/31116 |
Rz. 5
Im dritten Abschnitt des zweiten Buches des BGB (Recht der Schuldverhältnisse) ist im Allgemeinen Teil des Schuldrechts ein neuer Titel 2a – "Verträge über digitale Produkte" (§§ 327–327u BGB) – (als "geschlossenen Block neuer Vorschriften") angefügt worden. Von den Neuregelungen erfasst werden nur
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Verbraucherverträge und der |
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Regress des Unternehmers gegenüber Vertriebspartnern (im Zusammenhang mit Verbraucherverträgen). |
Der Standort der Neuregelungen zu digitalen Produkten im allgemeinen Vertragsrecht des BGB ist eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers: Die §§ 327 ff. BGB statuieren keinen neuen Vertragstyp, sondern schaffen typen- bzw. vertragsübergreifende Regelungen (fehlende vertragstypologische Klassifizierung). Der Gesetzgeber hat auch davon Abstand genommen, die Regelungen außerhalb des BGB zu verorten (keine eigenständige Kodifikation des Verbraucherrechts in diesem Bereich).
Rz. 6
Die Digitale-Inhalte-RL regelt nicht den Vertragsschluss. Infolgedessen gelten die allgemeinen Grundsätze des Vertragsschlusses nach Maßgabe der §§ 145 ff. BGB. Kommt es zu einem Vertragsschluss, gelangen alsdann die §§ 327 ff. BGB zur Anwendung.
Infolgedessen gilt folgende Vorgehensweise für die Praxis:
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Zuordnung des konkret in Rede stehenden Vertrags über digitale Produkte (rechtlic... |