Gundolf Rüge, Dr. iur. Holger Fahl
Rz. 13
Die Bahnhaftung nach § 1 HaftpflG setzt weiter voraus, dass sich der Unfall bei dem Betrieb der Bahn ereignet hat. Dieses Merkmal stellt den Bezug zu dem gesetzgeberischen Grund der strengen Haftung gemäß § 1 HaftpflG her. Die besonderen Gefahren, auf denen diese Gefährdungshaftung beruht, verwirklichen sich stets nur beim Betrieb der Bahn, nämlich im verkehrlichen (bahntechnischen) Teil des Bahnunternehmens. Zum Begriff des Betriebs der Eisenbahn gehören die gesamten, der Beförderung dienenden Tätigkeiten, also deren Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung, aber auch solche Vorgänge, die mit der eigentlichen Beförderungstätigkeit in einem örtlichen und zeitlichen, inneren oder äußeren Zusammenhang stehen; hierzu kann beispielsweise das vorübergehende Abstellen von Güterwagen auf einem Nebengleis gehören. Denn gerade hier begünstigen die Eigentümlichkeiten des Bahnverkehrs – Bindung an Schienen oder Seile, die ein Ausweichen unmöglich machen, hohe Geschwindigkeit und Bewegen schwerer Massen, die ein rechtzeitiges Anhalten erschweren und bei Zusammenstößen eine starke Aufprallwucht bewirken, Massenbeförderungen im Rahmen eines Fahrplanes, die vor allem beim Ein-, Aus- und Umsteigen mit Eile, Hast und Gedränge verbunden sind – erfahrungsgemäß das Entstehen von Unfällen. Die Bahnhaftung ist deshalb auf Unfälle beschränkt, deren Ursache in einer dem Eisenbahnbetrieb eigentümlichen Gefahr zu finden ist.
Die Haftung nach Art. 26 Abs. 1 CIV für Unfälle "in Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb" bedeutet das Gleiche.
Rz. 14
Das Merkmal bei dem Betrieb erfordert stets einen Zusammenhang mit dem Fahrbetrieb der Bahn. Es muss ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang, das heißt einer Betriebstätigkeit oder einer Betriebseinrichtung bestehen. Der Betriebsvorgang muss wenigstens eine von mehreren adäquaten Ursachen des Unfalls sein. Für den Betriebsunfall genügt deshalb nicht, dass der Unfall nur allgemein auf den Beförderungsbetrieb der Bahn zurückzuführen ist oder durch die Existenz oder den Zustand einer Betriebsanlage oder -einrichtung allein verursacht ist, etwa Gleise, Schranken oder einen stehenden Zug. Zusätzlich muss ein – mindestens mittelbarer – Zusammenhang mit wirklich ablaufenden Betriebsvorgängen bestehen. Ein solcher Zusammenhang fehlt, wenn sich der Unfall während einer Betriebsruhe ereignet oder auf einer stillgelegten oder wegen einer Störung gesperrten Strecke; ebenso, wenn ein konkreter Zusammenhang zwischen einer Beförderungstätigkeit und dem Unfall fehlt. Ein Betriebsvorgang erfordert nicht, dass er durch das Bahnpersonal veranlasst worden ist. So begründet ein Unfall, der darauf beruht, dass sich ein abgestelltes Schienenfahrzeug von selbst in Bewegung setzt, die Haftung nach § 1 HaftpflG.
Rz. 15
Ein Betriebsunfall im Sinne des § 1 Abs. 1 HaftpflG meint einen Unfall bei dem Betrieb der Bahn. Ein Unfall (vgl. dazu § 1) ist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmtes Ereignis, das einen Personen- oder Sachschaden verursacht. Daraus folgt, dass vom Bahnbetrieb ausgehende Einflüsse, die sich – wie etwa Emissionen – erst allmählich schädlich auswirken, keine Haftung nach § 1 HaftpflG auslösen.
Rz. 16
Ein Betriebsunfall liegt vor, wenn ein unmittelbarer, äußerer, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung der Bahn besteht oder wenn der Unfall durch eine dem Bahnbetrieb eigentümliche Gefahr verursacht worden ist. Dieser Zusammenhang ist ohne weiteres anzunehmen, wenn sich der Unfall bei der eigentlichen Beförderungstätigkeit, bei dem Betrieb im engeren Sinne ereignet hat.
Rz. 17
Zum Betrieb im engeren Sinn gehört die Beförderungstätigkeit, das heißt der Transport von Personen oder Gütern mit Bahnfahrzeugen. Zur Beförderung gehört die Bewegung der Beförderungsmittel, das Halten der Beförderungsmittel, das Ein- und Aussteigen sowie das Be- und Entladen von Gütern während des betriebsmäßigen Transports.
Die Haftung nach Art. 26 Abs. 1 CIV betrifft nur Betriebsunfälle in diesem engeren Sinne, nämlich während des Aufenthaltes in den Eisenbahnwagen oder beim Ein- oder Aussteigen (vgl. Rdn 60).
Rz. 18
Andererseits liegt ein Betriebsunfall auch dann vor, wenn zwar ein unmittelbarer äußerer Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang fehlt, der Unfall jedoch in innerem Zusammenhang mit einer dem Bahnbetrieb eigentlichen Gefahr steht. In diesen Fällen muss der Geschädigte beweisen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einer dem Bahnbetrieb eigentümlichen Gefahr besteht.
Rz. 19
Zum Betrieb der Bahn im weiteren Sinne gehören die Vorgänge, die der Vorbereitung, der Durchführung und dem Abschluss der Beförderung dienen. Der Betrieb beginnt schon vor der Aufnahme der Beförderung mit der Inbetriebnahme der Fahrzeuge. Bei dem Betr...