Rz. 78

Der Geschädigte muss sich auch dann ein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn er es unterlässt, den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die diese weder kannten noch kennen mussten (§ 254 Abs. 2 BGB). Im Rahmen dieser Vorschrift bedeutet dies z.B.:

sofortige Schadensermittlung durch Sachverständigen,
sofortige Restwertrealisierung bzw. Erteilung des Reparaturauftrages (wegen Dauer des Standgeldes sowie ggf. des Mietwagens bzw. Nutzungsausfalls),
Hinweis auf fehlende finanzielle Mittel, ggf. Kaskoinanspruchnahme,
Reparaturbeginn nicht zur Unzeit (Freitagmittag), ggf. Notreparatur,
Interimsfahrzeug bei absehbarer längerer Ausfalldauer, z.B. wegen Neuwagenersatzanspruchs oder langer Auslandsreise in den Urlaub.
 

Rz. 79

 

Beachte

Regressgefahr droht dem Anwalt des Geschädigten, wenn die Verpflichtung zur Schadensgeringhaltung nach § 254 Abs. 2 BGB nicht beachtet wird.

 

Rz. 80

Unterbreitet der Haftpflichtversicherer dem Geschädigten zu Händen seines Anwalts ein verbindliches Angebot für einen höheren Restwert, ist der Geschädigte grundsätzlich verpflichtet, dieses Angebot zum Zwecke der Schadensminderung anzunehmen (im Einzelnen dazu vgl. § 7 Rdn 253 ff.). Der Geschädigte muss sich die Kenntnis seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (LG Saarbrücken zfs 1997, 373). Auf die erhebliche Regressgefahr für den Anwalt ist hinzuweisen.

 

Rz. 81

Der Geschädigte ist wegen seiner Verpflichtung zur Schadensgeringhaltung verpflichtet, bei Fehlen eigener Mittel einen Kredit für die Kosten der Schadensbeseitigung aufzunehmen, insbesondere wenn die Kreditkosten unter dem ansonsten zu befürchtenden Schaden liegen (OLG Düsseldorf zfs 1997, 253).

 

Rz. 82

Viele Anwälte beachten bei der Unfallschadensregulierung zwar die Probleme, die beispielsweise bei der Inanspruchnahme eines Mietwagens entstehen und klären ihren Mandanten entsprechend auf. Es wird aber häufig übersehen, den gegnerischen Haftpflichtversicherer rechtzeitig auf die schlechte finanzielle Situation des Geschädigten und die Notwendigkeit der Zahlung entsprechender Vorschüsse zur Auslösung des Fahrzeugs aus der Reparatur oder zur Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges hinzuweisen.

 

Rz. 83

Daraus resultiert die Gefahr längeren Nutzungsausfalls oder höherer Mietwagenkosten. Erfolgt ein entsprechender Hinweis und reagiert der Haftpflichtversicherer nicht durch sofortige angemessene Bevorschussung, hat er auch die sodann infolge der Verzögerung entstehenden weiteren Schäden (den verlängerten Nutzungsausfall oder höhere Mietwagenkosten) zu ersetzen (OLG Nürnberg zfs 1981, 77 m.w.N.; OLG Frankfurt zfs 1984, 328; OLG Köln VersR 1973, 323).

 

Rz. 84

Besonders zu beachten ist die Warnpflicht für den Anwalt vor allem aber auch bei Personenschäden, da die persönlichen Umstände eines Geschädigten es in besonderem Maße geboten sein lassen können, dass der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer zumindest auf einzelne Positionen sofortige Vorschüsse zahlt, damit sich der Schaden nicht mehr als unvermeidbar vergrößert.

 

Beispiel

Verdienstausfall eines Selbstständigen, der bei nicht rechtzeitiger Bevorschussung wegen fehlender finanzieller Mittel den Geschäftsbetrieb nicht aufrechterhalten kann.

 

Rz. 85

Ist der Mandant zur Finanzierung seines Ersatzfahrzeugs oder der Reparaturkosten auf einen Unfallkredit angewiesen, muss dies rechtzeitig dem gegnerischen Haftpflichtversicherer mitgeteilt werden.

 

Rz. 86

 

Beachte

Die Aufnahme von Fremdmitteln für Reparatur, Ersatzbeschaffung bei Totalschaden, Gutachterkosten und Mietwagenkosten, aber auch zur Abdeckung der Heilungskosten und des Lebensbedarfs eines Verletzten, sind Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB und deshalb als Folgeschaden ohne Verzug des Schädigers oder seines Haftpflichtversicherers erstattungsfähig (BGH VersR 1974, 90; 1974, 143). Dies gilt auch für eine Kreditaufnahme zur Abdeckung des Personenschadens als Personenfolgeschaden (OLG Nürnberg zfs 2000, 12).

 

Rz. 87

Die Warnpflicht nach § 254 Abs. 2 BGB besteht jedoch nur, wenn der Schädiger die Gefahr eines besondere großen Schadens weder kannte noch kennen musste.

 

Rz. 88

Im vorgenannten Beispiel kann der Haftpflichtversicherer des Schädigers bei Regulierung des Verdienstausfallschadens ein Mitverschulden wegen Verstoßes gegen § 254 Abs. 2 BGB daher nicht entgegenhalten, wenn er beispielsweise aufgrund der ihm vom Mitgeschäftsinhaber, der ebenfalls verletzt wurde, vorgelegten Geschäftsunterlagen die betriebliche Situation genau kannte (BGH VersR 1953, 14).

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