Rz. 1

Nur selten sind heutzutage noch Fahrzeuge mit sog. "konventionellen Bremsanlagen" anzutreffen (d.h. ohne z.B. ein Antiblockiersystem). Es erweist sich für den Sachverständigen somit als "Glücksfall", wenn sich über die Existenz einer Brems-/Blockierspur nicht nur der dabei abgebaute Geschwindigkeitsanteil recht zuverlässig bestimmen lässt, sondern auch der Zeitpunkt der Reaktion des Kfz-Lenkers.

 

Das Erscheinungsbild einer solchen Blockierspur kann man prinzipiell der Abb. 3.1 entnehmen. Hier ist das von einem Opel Astra abgezeichnete Bremsspurbild aus erhöhter Position zu sehen. Links wie rechts setzen die tiefschwarzen Spurstriche etwa ab Höhe Position A ein. Der in Fahrtrichtung rechte Spurast ist (aufgrund leicht unterschiedlicher Fahrbahngriffigkeit) über eine längere Distanz bereits sichtbar, nämlich im Sinne einer Vollblockade des Reifens spätestens etwa ab der Position B. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber bis zum unteren Bildrand, Position C, ein (demgegenüber) deutlich schwächerer Spuranteil, den man mit der sog. "Bremsschwellzeit" in Verbindung bringen kann. Hier baut sich der Bremsdruck bis zur Vollblockade auf. Solche Schwellzeiten liegen bei Pkw üblicherweise bei 0,1 bis 0,2 sec.

 

Rz. 2

Normalerweise erhält man von einem ABS-gebremsten Kfz (Vollbremsung) erst kurz vor seinem Stillstand eine Spurzeichnung, da das ABS-System bis etwa 6 km/h regelt und darunter nicht mehr. Je nach genauer technischer Auslegung findet man von dem einen oder anderen Fahrzeugtyp aber durchaus noch deutliche Spurabzeichnungen, sog. "Regelspuren", Abb. 3.2.

Der modernere Opel Astra G wurde auf einer trockenen Fahrbahn vom Fahrer voll abgebremst – die einzelnen Spuranteile im Zuge des Regelungsprozesses sind auf dem Foto deutlich zu sehen. Hier regelte das ABS-System in vergleichsweise großen Zeitfenstern, weswegen sich ein so deutliches Spurbild letztlich auch ergab.

 

Rz. 3

Auf feuchten oder nassen Fahrbahnen sieht man selbst dann, wenn ein Kfz mit konventioneller Bremsanlage stark verzögert, nicht unbedingt Brems- oder Blockierspuren (ggf. erst nach Abtrocknen der Fahrbahn).

Gleichermaßen verhält es sich natürlich unter noch ungünstigeren äußeren Bedingungen, wie z.B. bei Eisglätte. Hier werden bekanntermaßen auch durchweg geringere Verzögerungswerte erzielt.

Für ABS-gebremste Kfz kann man auf trockenen Fahrbahnen mit Verzögerungswerten von durchschnittlich 8 bis 9 m/s2 rechnen. Ist die Fahrbahn feucht oder nass, so sind Werte von 6 bis 7 m/s2 realistisch.

Auf vereisten Fahrbahnen werden in der Regel nicht einmal 1 m/s2 (auch abhängig von der Fahrzeugbereifung) erreicht, auf tief verschneiten Fahrbahnen können noch durchaus bis zu 2,5 bis 3 m/s2 erzielt werden.

 

Rz. 4

Liegen keine besonderen äußeren Bedingungen vor (z.B. Dunkelheit und Wahrnehmbarkeitsprobleme), so kann man in aller Regel mit der normalen Reaktionszeit von 1 sec ("Schrecksekunde") operieren. Die während einer Fahrzeit von 1 sec zurückgelegte Distanz ist also für die Berechnung des Anhaltewegs noch zur Bremsstrecke hinzuzurechnen.

Diagramm 1

 

Rz. 5

Die Abhängigkeit des Anhaltewegs von der Ausgangsgeschwindigkeit bei einer Reak­tionszeit von 1 s ist dem Diagramm 1 zu entnehmen. Aus diesem ist ableitbar, dass man z.B. in einer 30 km/h-Zone bei Auftauchen einer Gefahr für ein Abbremsen bis zum Stillstand einen Anhalteweg von etwa 13 m (8 m/s2) benötigt. Bei Eisglätte (1 m/s2) fallen demgegenüber erhebliche 43 m an. Dies führt vor Augen, dass der Bremsweg nicht linear, sondern quadratisch von der Ausgangsgeschwindigkeit abhängt. Solchermaßen lautet die Berechnungsgleichung für den Bremsweg:

Hier ist s der Bremsweg, v die Ausgangsgeschwindigkeit und a der Verzögerungswert.

Um die notwendige Reaktionsstrecke zu erhalten, muss der jeweilige Tempowert in km/h durch den Faktor 3,6 dividiert werden (1 Std. = 3.600 sec und 1 km = 1.000 m).

 

Rz. 6

In die weiter oben schon bezeichnete Reaktionszeit von 1 s fließt in aller Regel auch noch die sog. "Schwellzeit" mit 0,1 bis 0,2 sec ein (normale Basisreaktionsdauer rd. 0,8 sec). In dieser Phase baut sich das Verzögerungsmaximum auf, weswegen man innerhalb dieses Zeitfensters mit der etwa halben wirksamen Vollverzögerung (je nach Fahrbahnbeschaffenheit) zu rechnen hat. Bei einer trockenen Fahrbahn (8 m/s2 Vollverzögerung) würden innerhalb der Schwellphase also 0,16 m/s bzw. zusätzlich gut 0,5 km/h abgebaut. Bedenkt man allerdings, wie stark toleranzbehaftet Verzögerungswerte in Abhängigkeit des Fahrbahnuntergrundes sind, spielt die in der Schwellphase abgebaute zusätzliche Geschwindigkeit keine ausschlaggebende Rolle.

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