Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 386
Hauptanwendungsfall der Darlehensgewährung in der Praxis ist § 91 SGB XII. Dazu ist vorab eine systematische Ein- und Zuordnung von § 91 SGB XII notwendig. Ausgangspunkt der Fragen zur Darlehensgewährung bei Erbfall und Schenkung ist die Antwort auf die Frage, warum dem Hilfesuchenden keine "bereiten" Mittel zur Verfügung stehen. Fehlt es an Einkommen? Oder fehlt es an Möglichkeiten zum Einsatz oder zur "Versilberung" des Vermögens?
Eine ausdrückliche Darlehensregelung, die angewendet werden könnte, wenn Einkommen nicht zur Verfügung steht, kennt das SGB XII – wie zuvor ausgeführt – nicht. Sie würde auch nicht zur Theorie des BSG passen, dass alles, was im Bedarfszeitraum zufließt, Einkommen ist. Die Qualifizierung einer "Erbschaft" als Einkommen oder Vermögen – je nach Erbfall- und Bedarfszeitpunkt – führt dazu, dass eine Erbschaft Einkommen, aber zumindest vorübergehend nicht verwertbar sein kann. Die Anwendung der Vorschriften der §§ 82 ff. SGB XII setzt aber zwingend voraus, dass das Einkommen real ist und zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht.
Rz. 387
Das macht es notwendig, das Problem fehlender Darlehensregelungen für "noch nicht verwertbare" Einkünfte im Sinne des SGB XII zu umschiffen. Die Bundesagentur für Arbeit hat sich im Rahmen des SGB II für eine analoge Anwendung der Darlehensregel des § 24 Abs. 5 SGB entschieden. Die Kommentarliteratur zum SGB XII bejaht deshalb z.T. eine analoge Anwendung von § 91 SGB XII, wenn dem aus Erbfall Begünstigten gegenständliche Werte "zufließen", die erst noch "versilbert" werden müssen, um zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden zu können. Für eine analoge Anwendung des § 91 SGB XII gibt es eigentlich aber keine Gründe, denn das Problem entsteht nicht aufgrund eines gesetzgeberischen Fehlers oder Mangels, sondern aufgrund einer Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen, die erst durch die Rechtsprechung entstanden ist.
Rz. 388
Das BSG umschifft deshalb auch dieses Problem und hat in einer Entscheidung zum SGB II dargelegt, dass eine Erbschaft erst dann als Einkommen zu berücksichtigen ist, wenn sich der wertmäßige Zufluss bei dem Betroffenen realisiert und die Erbschaft somit als bereites Mittel zur Verfügung steht. Der wertmäßige Zuwachs mindert erst dann den Bedarf, wenn die Einnahme dem Hilfebedürftigen tatsächlich zur Deckung seines Bedarfs real zur Verfügung steht. Solange muss von einer Zuschussleistung ausgegangen werden. Bezogen auf § 91 SGB XII, der ausschließlich zur Anwendung kommt, wenn es um Vermögen geht, das dem Hilfesuchenden nicht als prognostisch im Bewilligungszeitraum verwertbares Mittel zur Verfügung steht, ist das richtig. Die Praxis ist damit nicht zufriedengestellt, weil dies bedeutet, dass dem erbrechtlich Begünstigten, der seine "Erbschaft" nicht sofort versilbern kann, weiterhin Mittel zur Bedarfsdeckung als Zuschuss zur Verfügung gestellt werden. Werden die Nachlassmittel/Schenkungen realisiert, fällt der Hilfebedürftige bei entsprechender Höhe ohne weitere Konsequenzen aus dem Sozialhilfebezug heraus. Der richtige Weg, um dies zu verhindern, ist es, Ansprüche des Hilfeempfängers gegen Dritte nach § 93 SGB XII überzuleiten. Soweit es darum geht, werthaltige Rechte (z.B. an das Eigentum an einer Immobilie) zu verflüssigen, könnte eine Darlehensgewährung nur dann in Betracht kommen, wenn sich Einkommen in Vermögen umwandeln würde.
Rz. 389
Soweit nach § 90 SGB XII für den Bedarf der nachfragenden Person Vermögen einzusetzen ist, jedoch
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der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich sind, |
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der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens für den, der es einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde, |
soll die Sozialhilfe als Darlehen gewährt werden. Das setzt voraus, dass die Vermögensqualität und alle Schontatbestände des § 90 SGB XII bereits geprüft wurden. Dazu gehört zunächst die Prüfung der zeitlichen Dimension der Verwertbarkeit des dem Grunde nach verwertbaren Vermögens. Sie muss zwingend geprüft werden. Eine darlehensweise Gewährung von Leistungen scheidet aus, wenn in dem Zeitpunkt, in dem die Darlehensgewährung erfolgen soll, bis auf weiteres nicht absehbar ist, ob der Hilfesuchende einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Vermögen wird ziehen können. Was "nicht absehbar" bedeutet, muss letztlich im Wege einer Prognoseentscheidung ermittelt werden. Maßgebend für die Prognose, ob und ggf. welche Verwertungsmöglichkeiten bestehen, ist im Regelfall der Zeitraum, für den Leistungen bewilligt werden.
Rz. 390
"Bei einem Barvermögen bestehen regelmäßig keine Probleme hinsichtlich einer unmittelbaren Verwertbarkeit." Auch die Verwertung eines Autos ist regelmäßig kurzfristig möglich und zumutbar. Etwas anderes würde sich ergeben, wenn ein Rückforderungsanspruch des Hilfesuchenden im Raum stünde. Ein solcher Rückforderungsanspruch – so er denn Vermögen ist – ist häufig nicht sofort verwertbar. In diesem Fall ist der Anwendungsbereich des § 91 SGB XII eröffne...