Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 96
Um die Wirkung zugeflossenen Einkommens oder Vermögens im sozialhilferechtlichen Leistungstatbestand exakt beurteilen zu können, bedarf es schließlich noch der Auseinandersetzung mit der Frage, was der Unterschied zwischen der sozialhilfeschädlichen Wirkung von Einkommen und Vermögen des Hilfesuchenden nach §§ 82 ff., 90 SGB XII und der Wirkung der "anderweitigen Bedarfsdeckung" des § 27 Abs. 4 SGB XII ist.
Rz. 97
Nach § 27a Abs. 4 SGB XII – der ebenfalls Ausdruck des Subsidiaritätsgrundsatzes ist – kann der individuelle Bedarf eines Menschen im Einzelfall abweichend vom Regelsatz festgelegt werden, wenn "ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist". Das ist der Fall, wenn der Hilfesuchende Zuwendungen Dritter erhält. Andererseits können Zuwendungen Dritter sozialhilfeschädliches Einkommen oder Vermögen darstellen.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist jeder Einkommensermittlung und -prüfung im SGB XII stets die Frage vorgeschaltet, ob ein bestehender individueller Bedarf des Hilfesuchenden bereits ganz oder teilweise abgedeckt ist, wenn der Betroffene Zuwendungen Dritter erhält. Kann der individuelle Bedarf dann abweichend vom Regelsatz niedriger festgelegt werden (§ 27a Abs. 4 SGB XII, § 43 Nr. 1 SGB XII)? Wenn man diese Frage bejaht, dann kommt es auf die Ermittlung des sozialhilferechtlich einzusetzenden Einkommens (§§ 82–84 SGB XII und Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII) des Hilfesuchenden nicht mehr an. Zuwendungen an den Bedürftigen müssen also immer erst im Hinblick auf ihre Eignung zur Reduzierung des Regelsatzes geprüft werden.
Rz. 98
Die Abgrenzung zwischen der Prüfung einer mindernden regelsatzrelevanten Bedarfsposition (Prüfungsschritt 1) und dem einzusetzenden – und deshalb bedarfsmindernden – Einkommen (Prüfungsschritt 2) ist schwierig. Wie ist zu verfahren, wenn ein Dritter dem Hilfesuchenden Sachbezüge oder Nutzungsvorteile gewährt? Wirkt das zugewendete Nutzungsrecht an einer Wohnung oder ein anderer Sachbezug im Sinne von § 2 DVO zu § 82 SGB XII auf die Höhe des Regelsatzes mindernd ein? Oder ist eine solche Zuwendung Einkommen und wird nach den Regeln der §§ 82 ff. SGB XII behandelt? Oder können sie ggf. gar nicht berücksichtigt werden, was für die Entscheidung eines Schenkers oder Erblassers von besonderer Bedeutung wäre?
Rz. 99
Das BSG wendet die Regelsatzreduzierung aufgrund § 27a Abs. 4 SGB XII nur an, wenn der Bedarf "institutionell", d.h. im Rahmen einer Leistung nach dem SGB XII abgedeckt wird. Eine Anwendung auf den Fall, dass der Hilfesuchende seine Verpflegung durch private Dritte als eine Art Naturalunterhalt erhält, lehnt das BSG ab. Auch eine Absenkung des Regelsatzes wegen hypothetisch ersparter Aufwendungen (Beispiel: ersparte Energiekosten) kommt nicht in Betracht.
Rz. 100
Andere wollen auch die Bedarfsdeckung durch Sachleistungen im Wege der "Privatzuwendung" unter § 27a Abs. 4 SGB XII fallen lassen. Die untergerichtliche Rechtsprechung scheint bisher folgende Wege einzuschlagen:
▪ |
private Zuwendungen Dritter an den Hilfesuchenden führen nicht zur Reduzierung des Regelsatzes nach § 27 Abs. 4 SGB XII, sondern sind Einkommen oder |
▪ |
private Zuwendungen in der Form der Sachleistung (Kost, Logis, Unterkunft, Nutzungsmöglichkeiten) können Einkommen im Sinne d. §§ 82 ff. SGB XII darstellen, müssen aber nach der Verkehrsanschauung einen tatsächlichen wirtschaftlichen (Markt-)Wert haben und können dann ggf. berücksichtigt werden oder |
▪ |
private Zuwendungen in der Form der Sachleistung (Lebensmittelgabe, vergünstigtes Wohnen und die Nutzung eines Pkw) können überhaupt nicht berücksichtigt werden, weil es dafür keine Rechtsgrundlage gibt und die DVO zu § 82 SGB XII, speziell § 2, nur auf die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit abzielt. |
Rz. 101
Dass private Zuwendungen in der Form der Sachleistung gar keine Auswirkungen auf das sozialhilferechtliche Leistungsverhältnis haben und generell anrechnungsfrei beim Bedürftigen verbleiben, ist als Mindermeinung für eine gesicherte Rechtsgestaltung eher ungeeignet, denn grundsätzlich sind auch Sachleistungen Einkommen und dienen der Bedarfsdeckung.
Es entsprach bereits der früheren Rechtslage, Naturalunterhaltsleistungen – besser: zum Naturalunterhalt geeignete Leistungen – nicht unter § 2 DVO zu § 82 SGB XII zu subsumieren. Gleichzeitig bestand aber Einigkeit darüber, dass freiwillige Leistungen Dritter unter § 78 BSHG (heute § 84 Abs. 2 SGB XII) zu subsumieren waren. Es scheint auch nicht wirklich schlüssig und mit dem weiten Einkommensbegriff des § 82 SGB XII vereinbar zu sein, freiwillige Leistungen Dritter in Geld als leistungsschädliches Einkommen zu berücksichtigen, freiwillige Leistungen Dritter mit Geldwert aber komplett unberücksichtigt zu lassen.
Rz. 102
In der Vergangenheit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht in Frage gestellt, dass z.B. ein unentgeltlich zur Verfügung gestellter Pkw "zu Recht dem Verkehrsbedarf bzw. Beförderungs- oder T...