Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 161
Fallbeispiel 23: Das gestundete Gleichstellungsgeld
K (60 Jahre alt) bezog seit dem 1.1.2015 laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII. Durch notariellen Überlassungsvertrag vom 28.4.2015 übertrug die Mutter des K ihrem ältesten Sohn W (Erwerber) drei Grundstücke. Dieser verpflichtete sich, seinem Bruder W innerhalb von 4 Wochen nach Unterschrift 50.000 EUR zu zahlen. An seinen Bruder K sollte er 55.000 EUR zahlen, fällig bei dessen Eintritt in die gesetzliche Altersrente, spätestens jedoch innerhalb von 10 Jahren ab dem 28.4.2015. Für den Kläger wurde eine Sicherungshypothek an einem der übertragenen Grundstücke eingetragen. Das Sozialamt war der Auffassung, K verfüge nunmehr über verwertbares Vermögen und stellte die Leistungen ein.
Rz. 162
Bei der Übertragung von Vermögenswerten im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge auf einen Abkömmling ordnet der Zuwendende gelegentlich Zahlungen des Übernehmers an seine Geschwister als weichende Erben an. Dabei handelt es sich nicht um direkte Leistungen des Übernehmenden an die weichenden Erben. Es handelt sich vielmehr um Leistungen des Übergebers und damit im Verhältnis zwischen dem Übergeber und dem weichenden Erben um Zuwendungen im Wege vorweggenommener Erbfolge, ggf. aber auch als Ausstattung.
Rz. 163
Grundsätzlich kann ein solches Gleichstellungsgeld – egal ob Schenkung oder Ausstattung – an einen Bedürftigen dessen Sozialhilfeanspruch im Sinne von § 19 Abs. 1–3 SGB XII hindern oder vernichten. Darum geht es in Fallbeispiel 22 (siehe Rdn 158).
Rz. 164
Falllösung Fallbeispiel 23:
Durch die Verpflichtung des W auf Zahlung eines Gleichstellungsgeldes an K hat K im Bedarfszeitraum eine werthaltige Forderung erworben. Damit ist nach der herrschenden Auffassung des BSG davon auszugehen, dass es sich um Einkommen i.S.d. §§ 82 ff. SGB XII handelt. Zu einem anderen Ergebnis käme man nach der Rechtsprechung selbst dann nicht, wenn der Zufluss vor dem Bedarfszeitraum erfolgt und deshalb als Vermögen zu qualifizieren gewesen wäre. Denn regelhaft entscheidet das BSG, dass eine Forderung selbst dann, wenn sie vor dem Bedarfszeitraum schon bestand und deshalb eigentlich als Vermögen anzusehen wäre, bei Realisierung und tatsächlichem Zufluss der Forderung als Einkommen behandelt wird. Dass sie zuvor Vermögen im Sinne von § 90 SGB XII war, darauf kommt es der Rspr. nicht an.
Im entschiedenen Fall gab es aber keinen Vermögensmehrung vor dem Bedarfszeitraum, sondern erst im Bedarfszeitraum. Damit liegt – so oder so – Einkommen vor. Dieses Einkommen ist wegen der Stundung der Forderung zur Bedarfsdeckung aber nicht geeignet. Mangels "bereiter" Einkommensmittel scheitert der Einwand des Sozialleistungsträgers.
Achtung
Der reale Fall war ein SGB II-Fall. Und das BSG machte ein weiteres Mal eine Kehrtwende und führte aus: "Auch nicht bereite Mittel sind jedoch, wenn es sich um verwertbares Vermögen handelt, zur Existenzsicherung einzusetzen."
Rz. 165
Fraglich ist dann im nächsten Schritt, ob dem K im Rahmen seiner Selbsthilfeverpflichtung zugemutet werden kann, die Forderung auf andere Art zu "bereiten" Mitteln zu machen. Dazu käme ggf. eine Beleihung oder ein Verkauf des Anspruchs in Betracht. In der Regel ist dies allerdings bei einer so langen Stundungsdauer kaum jemals erfolgreich, so dass auch weiterhin Leistungen an K zu erbringen sind.