Rz. 335

Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden von kleineren Barbeträgen oder sonstigen Geldwerten; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen. Die Höhe der Beträge wird durch die Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII näher bestimmt.[585] § 1 DVO bestimmt, was kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII sind:

für jede in §§ 19 Abs. 3, 27 Abs. 1 und 2, 41 und 43 Abs. 1 S. 2 SGB XII genannte volljährige Person sowie für jede alleinstehende minderjährige Person sind 5.000 EUR und
für jede Person, die von einer Person nach Nr. 1 überwiegend unterhalten wird, 500 EUR

freizustellen. Der Betrag kann herauf oder herabgesetzt werden. § 2 DVO bestimmt dazu, dass

der nach § 1 DVO? maßgebende Betrag angemessen zu erhöhen ist, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage der nachfragenden Person besteht. Bei der Prüfung, ob eine besondere Notlage besteht, sowie bei der Entscheidung über den Umfang der Erhöhung sind vor allem Art und Dauer des Bedarfs sowie besondere Belastungen zu berücksichtigen.
der nach § 1 DVO maßgebende Betrag angemessen herabgesetzt werden kann, wenn die Voraussetzungen der §§ 103 oder 94 SGB XII vorliegen.
 

Rz. 336

 

Fallbeispiel 30: Der Bedarf an Eingliederungshilfe/Grundsicherung und die Erbschaft

A ist 35 Jahre alt und körperlich und geistig behindert. Er verfügt über keine eigenen Mittel außer den Bezügen aus einer Werkstatttätigkeit. Er bezieht Eingliederungshilfe nach §§ 90 ff. SGB IX i.H.v. monatlich 3.800 EUR für Assistenzleistungen und Grundsicherung i.H.v. 900 EUR nach § 41 SGB XII. A erbt nach dem Tod seiner Mutter 50.000 EUR. Das Sozialamt stellt die Grundsicherungsleistungen des SGB XII ein. Wie ist die Rechtslage?

 

Rz. 337

Die Fachleistung "Eingliederungshilfe" wird seit 1.1.2020 nach den Regeln des SGB IX erbracht. Der Vermögensschonbetrag richtet sich nach § 139 SGB IX. Für die Gewährung von Werkstattleistungen wird der Einsatz von Vermögen nach § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX überhaupt nicht verlangt und für Assistenzleistungen nach §§ 139 ff. SGB IX ebenfalls nicht, weil der geschonte Vermögensbetrag nicht überschritten wird. Der Vermögensschonbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII findet für die Anrechnung auf den Grundsicherungsbedarf mit 5.000 EUR für den Hilfesuchenden Anwendung. Die Heraufsetzung dieses Betrages angesichts der Reibungsverluste zwischen den Vermögensschonbeträgen des SGB IX und des SGB XII ist ein notwendiges, aber äußerst stiefmütterlich behandeltes Instrument, das in der Praxis so gut wie nicht vorkommt. Erst in letzter Zeit haucht die Rechtsprechung dieser Möglichkeit Leben ein.

 

Rz. 338

Eine besondere Notlage i.S.d. § 2 Abs. 1 DVO liegt nicht schon dann vor, wenn sich der Bedürftige in einer Lage befindet, die typischerweise zur Hilfebedürftigkeit führt. Solche Notlagen, die das SGB XII gerade abdeckt, sind für sich genommen keine "besonderen" i.S.d. § 2 Abs. 1 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII.[586] Es ist vielmehr die (lebenslange) Dauer und Schwere der Beeinträchtigungen, die ein bedeutsames Kriterium für die Anhebung der Grenzen ist. Die Rechtsprechung konkretisiert diesen Gedanken wie folgt: "§ 2 Abs. 1 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII a.F. lehnt sich vielmehr wegen der Bestimmung einer besonderen Notlage erkennbar an die Formulierungen in § 87 Abs. 1 S. 2 SGB XII an."[587]

 

Rz. 339

Maßgebend für den angemessenen Mitteleinsatz bei Einkommen oberhalb der Einkommensgrenze des § 85 SGB XII ist insbesondere

die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit,
die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie
besondere Belastungen der nachfragenden Person.

Zitat

Soweit aus solchen Umständen Schwerstpflegebedürftigkeit folgt, sieht § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII eine pauschale Verschonung des Einkommens in Höhe von 60 v.H. des die allgemeine Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens vor. Diese in § 87 Abs. 1 S. 2 SGB XII genannten Gesichtspunkte berücksichtigt die in § 1 Abs. 1 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII a.F. vorgenommene Differenzierung des Freibetrags allein nach der Art der Hilfe nicht.

Wegen der Bestimmung der besonderen Notlage für eine nachfragende Person, deren Erwerbseinkommen zugleich nach § 87 Abs. 2 SGB XII geschützt ist, ist damit im Einzelfall unter Anlegung der in § 87 Abs. 2 SGB XII genannten Kriterien auch eine Erhöhung des Vermögensfreibetrags nach § 2 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII a.F. vorzunehmen. § 2 Abs. 1 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII a.F. ermöglicht so den Wertungswiderspruch aufzulösen, der sich ergäbe, wenn geschütztes Erwerbseinkommen über den Monat seines Zuflusses hinaus nicht für den Lebensstandard eingesetzt werden könnte, der nach der Wertung des § 87 Abs. 2 SGB XII angesichts der besonderen Umstände aber ermöglicht werden soll.“[588]

 

Rz. 340

Die Rechtsprechung begrenzt in ihrer Entscheidung den Gedanken des besonderen Einkommensschutzes nach § 87 SGB XII dahingehend, dass nur E...

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