Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 115
Auf die Herkunft von Einkommen und Vermögen kommt es für die Frage, ob Zuflüsse eingesetzt werden müssen, im Sozialhilferecht in der Regel nicht an. Ausnahmen müssen normativ gestaltet sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, dem das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung folgt, kommt es deshalb bei der Berücksichtigung von Einkommen auf "die bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit, nicht notwendig dagegen auf die Zweckbestimmung" an. In der Literatur liest sich das nicht immer vergleichbar deutlich, wie z.B. bei Rothkegel, der schon 2005 schrieb:
Zitat
"Wegen des Faktizitätsprinzips kommt es auch nicht auf die Herkunft von Einkommen und Vermögen an und ist auch die Zweckbindung von Einkommen nur unter den Voraussetzungen des § 83 SGB XII erheblich. Eine Zweckbindung bzw. -bestimmung von Einkommen und Vermögen berührt deren Eigenschaft als "bereite" Mittel nur in Fällen eines gesetzlichen Anrechnungsausschlusses. Er kann innerhalb (vgl. z.B. § 83 Abs. 2, § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII) oder außerhalb des Sozialhilferechtes (vgl. z.B. § 21 Abs. 2 S. 2 StiftG) angeordnet sein."
Dass Einkünfte wegen der damit verbundenen Zweckbestimmung bei der Ermittlung des sozialhilferechtlich relevanten Einkommens (oder Vermögens) unberücksichtigt bleiben, ist daher die Ausnahme. Nur für Einkommen mit öffentlich-rechtlicher Zweckbestimmung besteht eine solche Ausnahme.
Rz. 116
Leistungen, die zu einem ausdrücklich benannten Zweck erbracht werden, sind nach § 83 SGB XII geschützt, wenn die Sozialhilfe nicht demselben Zweck dient. Damit soll eine normativ anerkannte Zweckbestimmung nicht dadurch vereitelt werden, dass dieses Einkommen zur Deckung eines sozialhilferechtlich anerkannten Bedarfs eingesetzt werden muss. Außerdem soll eine doppelte Deckung ein und desselben sozialhilferechtlich anerkannten Bedarfs eines Leistungsberechtigten durch eine Leistung der Sozialhilfe und sein Einkommen vermieden werden.
Rz. 117
Diese Regel gilt aber ausdrücklich nur für Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften und Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB. Leistungen aufgrund privater Vereinbarungen – z.B. zur zweckbestimmten Finanzierung eines Pkw – unterfallen § 83 SGB XII ausdrücklich nicht. Zweckbestimmungen von Erblassern oder sonstigen Dritten sind im Sozialhilferecht als Schontatbestände für Einkommenszuflüsse somit gesetzlich ausdrücklich nicht berücksichtigt.
Rechtsprechung
"Kann eine Steuererstattung aus einer Erbschaft für Todesfallkosten verwendet werden und ist sie von der Anrechnung im SGB II ausgenommen, weil der Erblasser diverse Wünsche zu seiner Beerdigung geäußert hat?", so lautete die Frage, die das LSG Bayern im SGB II zu beantworten hatte. Die Antwort ist auf das SGB XII übertragbar. Die Steuererstattungen stellen Einkommen dar. Die Steuererstattung ist nicht von der Anrechnung als Einkommen ausgenommen:
"Aus § 1968 BGB folgt aber keine Zweckbestimmung, die es gebieten würde, die Erbschaft auch nur in Höhe der vom Erben zu tragenden Bestattungskosten frei zu halten. Die streitigen Steuererstattungen sind dem Kläger im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zugeflossen und nicht aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift gewährt worden. Bereits deshalb fehlt es an einer zu beachtenden Zweckbestimmung."
Rz. 118
Die frühere Rechtsprechung hat – als man eine Erbschaft noch generell für Vermögen, unabhängig vom Zuflusszeitpunkt hielt – manchmal versucht, eine Zweckbindung unter dem Gesichtspunkt der Härte (§ 90 Abs. 3 SGB XII) zu diskutieren. Das ist heute unmöglich und selbst damals war der Handlungsspielraum schmal. Schon das BVerwG hat ausgeführt, dass sich nicht in einer verallgemeinerungsfähigen Weise sagen lasse, dass ein Gegenstand, weil er einem Bedürftigen geschenkt worden sei, unter dem Gesichtspunkt der Härte von einem Vermögenseinsatz auszunehmen sei.
Rz. 119
Gestaltungshinweis
Folglich können Tendenzen in einzelnen Entscheidungen zum Behindertentestament, die prüfen, ob es eine zulässige Zweckbindung durch den Testamentsvollstrecker bei Freigabe des Geldes aus dem Nachlass gegeben habe, sozialhilferechtlich nicht durchgreifen, sondern allenfalls an der zivilrechtlichen "Schraube" der Verwertbarkeit der zugedachten Mittel drehen. Letztlich gibt es weder für den Erblasser noch für den Testamentsvollstrecker eine solche normative Verschonungsgrundlage. Der Erblasser muss vielmehr darauf hinwirken, Zuflüsse zu schaffen, die nicht der sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckung dienen können oder aus anderen ausdrücklichen normativen Grundlagen eine anderweitige Verwendung zulassen.