Dr. Gudrun Doering-Striening
A. Einleitung
Rz. 1
Sozialhilfe im klassischen Sinn (SGB XII) ist die letzte Sozialleistung neben der Grundsicherung nach § 19 SGB II, "wenn sonst nichts mehr geht" und niemand mehr hilft. Der Anspruch auf Sozialhilfeleistungen ist so zu prüfen, dass zunächst der Bedarf des Betroffenen zu ermitteln und in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, inwieweit dieser durch anzurechnendes Einkommen und Vermögen gedeckt ist oder werden kann und der Hilfesuchende wirklich bedürftig ist. Oftmals steht oder stand dem Hilfebedürftigen Einkommen oder Vermögen dem Grunde nach zur Verfügung. Sie führen aber aus unterschiedlichsten Gründen gar nicht oder nur teilweise zur Bedarfsdeckung. Oder sie tun es noch nicht. In Fällen von Schenkung und Erbfall ist das besonders häufig, weil Nachlass überhaupt erst zufließen, Erbschaften auseinandergesetzt, Pflichtteils- und Vermächtnisansprüche realisiert und die notwendigen Legitimationspapiere dazu beschafft werden müssen. Das führt dazu, dass man sozialhilferechtlich oft nicht auf den ersten Blick sagen kann, ob ein solcher Anspruch/Zufluss sozialhilferechtlich Einkommen oder doch Vermögen ist. Oftmals wirken die Ergebnisse zufällig und nicht umsonst wird die vom BSG geschaffene Kategorie des "Erbfall-Zuflusses" zumindest von einigen Stimmen kritisch diskutiert.
Wie Einkommen und Vermögen Berücksichtigung finden, hängt entscheidend auch vom konkreten Bedarf bzw. Leistungstatbestand ab.
B. Bedarf im SGB XII
I. Allgemeines
Rz. 2
§ 28 SGB I bestimmt abstrakt, welche Bedarfe des Hilfesuchenden im Rahmen der Sozialhilfe abgedeckt werden können:
Rz. 3
Nach § 19 Abs. 1–3 SGB XII werden
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Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – §§ 19 Abs. 1, 41 ff. SGB XII |
▪ |
Hilfe zum Lebensunterhalt – §§ 19 Abs. 2, 27 ff. SGB XII |
▪ |
Hilfe in speziellen Lebenslagen – § 19 Abs. 3 SGB XII |
erbracht.
Fälle mit erbrechtlichem/schenkungsrechtlichen Bezug im SGB XII sind häufig Bedürftige, die Grundsicherung nach § 19 Abs. 2 SGB XII, Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs. 1 SGB XII oder Hilfe zur Pflege nach § 19 Abs. 3 SGB XII beziehen und bei denen es darum geht, Zuflüsse aus Erbfall zu verteidigen oder den Bestand vollzogener Schenkungen zu wahren.
Rz. 4
In der anwaltlichen/notariellen Gestaltungspraxis spielt die Frage, ob der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen oder Hilfe zum Lebensunterhalt gesichert (weiter) besteht, insbesondere dort eine Rolle, wo es darum geht, einem Bedürftigen Zuwendungen zu machen, die ihm einen Standard über den üblichen Sozialhilfestandard hinaus sichern sollen. Diese Fragestellung hat seit dem 1.1.2020 noch einmal eine besondere Dynamik bekommen, weil seitdem die Leistungen für Menschen mit Behinderung in Einzelleistungen aufgeteilt wurden:
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Die existentiellen Leistungen werden aus dem SGB XII ggf. unter Berücksichtigung von Wohngeld und Kindergeld abgedeckt. |
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Die Fachleistungen wegen Behinderung – bisher Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII – kommen jetzt aus dem SGB IX. |
Beide Leistungssysteme sind nicht miteinander kompatibel, insbesondere nicht, was den Vermögensschutz angeht. Wer seinen existentiellen Bedarf als behinderter Mensch nicht selbst decken kann, muss Vermögen oberhalb von 5.000 EUR regelhaft einsetzen (§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII), wenn die Rechtsprechung nicht mit § 90 Abs. 3 SGB XII hilft. Im SGB IX gilt nach § 139 SGB IX dagegen ein Schonbetrag i.H.v. 150 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV, der mehr als zehnmal so hoch ist. Er nutzt den Menschen, die ausschließlich Eingliederungshilfe benötigen, nicht aber denjenigen, die daneben weiterhin Grundsicherung und/oder Hilfe zum Lebensunterhalt brauchen.
II. Existentieller Bedarf
Rz. 5
Existentieller Bedarf wird nach §§ 19 Abs. 1 SGB XII in der Form der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII oder nach § 19 Abs. 2 SGB XII in der Form der Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII abgesichert.
§ 41 SGB XII richtet sich an die dauerhaft voll Erwerbsgeminderten (§ 43 SGB XII) oder diejenigen, die die Altersgrenze überschritten haben. § 27 SGB XII richtet sich an diejenigen, die durch dieses Raster fallen und auch keinen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II haben.
§ 19 Abs. 2 S. 1 SGB...