Bernd Clasen, Dr. Thomas Gleumes
Rz. 502
Der Erblasser dürfte regelmäßig verpflichtet gewesen sein, Einkommensteuererklärungen abzugeben. Es ist aber auch denkbar, dass er als Inhaber eines Gewerbebetriebs Gewerbesteuer – oder als Unternehmer i.S.d. UStG Umsatzsteuererklärungen abgeben musste. Weiterhin ist es denkbar, dass der Erblasser vor seinem Tod selbst Erbe geworden ist und daher vom verstorbenen Erblasser selbst noch eine Erbschaftsteuererklärung abgegeben werden musste.
Rz. 503
Beispiel
Die kinderlosen Eheleute Jaqueline und Christian haben sich testamentarisch zu alleinigen Vollerben eingesetzt. Weiteres haben sie nicht bestimmt. Nach schwerer Krankheit verstirbt Jaqueline. Christian, der den Tod seiner Ehefrau nicht verkraftet, stirbt kurze Zeit später an den Folgen einer Alkoholvergiftung.
Nahe Angehörige von Christian sind kurzfristig nicht zu ermitteln, so dass Nachlasspflegschaft angeordnet wird (es ist u.a. Grundvermögen vorhanden). Der Nachlasspfleger hat eine Erbschaftsteuererklärung nach Jaqueline für Christian abzugeben.
Rz. 504
Soweit der Erblasser in der Vergangenheit, trotz Erklärungspflicht, keine Steuererklärungen abgegeben hat, trifft die Verpflichtung nunmehr die Erben aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB). Die Steuererklärungspflicht entsteht für die Erben gemäß § 149 AO originär mit dem Erbfall und ist vom Nachlasspfleger als dem gesetzlichen Vertreter der unbekannten Erben zu erfüllen. Die Verpflichtung erlischt erst mit Ablauf der Festsetzungsfrist. Daneben treffen den Nachlasspfleger die allgemeinen Mitwirkungspflichten der §§ 90 ff. AO. Er ist mithin zur Ermittlung des Sachverhalts, zur Auskunft und zur Vorlage von (Bank-) Unterlagen, Urkunden und Wertsachen verpflichtet und muss ggf. eine Betriebsprüfung für Zeiträume vor dem Erbfall hinsichtlich der Verhältnisse des Erblassers hinnehmen.
Rz. 505
Da die Abgabe von Steuererklärungen nur bis zum Ablauf der Festsetzungsverjährung (siehe Rdn 558 ff.) möglich ist und bei verspäteter Abgabe von Steuererklärungen mit Verspätungszuschlägen bzw. bei Nichtabgabe mit Schätzungsbescheiden zu rechnen ist, empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Finanzamt.
Rz. 506
Muster 3.7: Anschreiben Finanzamt
Muster 3.7: Anschreiben Finanzamt
Sehr geehrte Damen und Herren,
durch das Amtsgericht Musterstadt bin ich zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben des Manfred Mustermann, geboren am _________________________, verstorben am _________________________, zuletzt wohnhaft in Musterhausen, bestellt. Eine Kopie meiner Bestallungsurkunde ist diesem Schreiben beigefügt.
Ich bitte um Auskunft, ob der Verstorbene steuerlich geführt wurde. Bejahendenfalls bitte ich Sie um Übersendung von Steuererklärungen, Bilanzen, Gewinnermittlungen und Steuerbescheiden der letzten drei Jahre sowie eines Ausdrucks des geführten Steuerkontos über selbigen Zeitraum. Des Weiteren bitte ich um Mitteilung sämtlicher bei Ihnen gespeicherter Kontoverbindungen des Verstorbenen sowie um Nachricht, ob noch die Abgabe von Steuererklärungen aussteht. Sollte Letzteres der Fall sein, bitte ich höflichst um die Gewährung einer angemessenen Fristverlängerung, da der Nachlass unübersichtlich ist.
Rückständige Steuerforderungen melden Sie bitte bei mir an. In diesem Fall erhebe ich vorsorglich die Einrede gem. § 2014 BGB.
Mit freundlichen Grüßen,
(Unterschrift)
Rz. 507
War bisher im Einzelfall eine Veranlagung nicht notwendig, da lediglich Einkünfte erzielt wurden, die dem Steuerabzug (z.B. Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer) unterlagen, sollte im Todesjahr trotzdem eine Veranlagung durchgeführt werden (Antragsveranlagung, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG), damit die auf das Jahr betrachtet zu hoch einbehaltene Abzugssteuer erstattet werden kann. Gleiches gilt in Fällen, in denen vom Erblasser zu hohe Vorauszahlungen auf die endgültige Steuerschuld geleistet worden sind. Das Steuerrecht bietet dem Nachlasspfleger in solchen Fällen die Möglichkeit, dem Nachlass liquide Mittel zuzuführen. Vor dem Hintergrund steigender Fälle von überschuldeten Nachlässen sollte der Nachlasspfleger diese Chance ergreifen, um einen Vergütungsanspruch aus dem Nachlass (und nicht aus der Staatskasse) zu erhalten.
Rz. 508
Beispiel
Der ledige, kinderlose Erblasser E verstarb am 31.1.2011. Sein letztes Januar-Gehalt von brutto 10.000 EUR wurde ihm unter Berücksichtigung aller Abzüge in Höhe von 4.691,83 EUR noch ordnungsgemäß ausgezahlt. Unter anderem wurde eine Lohnsteuer in Höhe von 3.242,08 EUR nebst Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer einbehalten.
Gibt der Erbe bzw. der Nachlasspfleger keine Jahressteuererklärung ab, erfolgt keine Lohnsteuer-Erstattung. Wird hingegen eine Jahreserklärung abgegeben, werden die Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vollständig erstattet. Es ergibt sich eine Steuererstattung von etwa 3.712 EUR.
Rz. 509
Kann wegen Ablauf der Festsetzungsverjährung keine Steuererklärung mehr abgegeben werden und eine Steuererstattung nicht mehr erfolgen, dürfte der Nachlasspfleger für den eingetret...