Rz. 354

Der Sachverständige sollte zwingend in seinen Gutachten auf die Wahl des jeweiligen Verfahrens hinweisen und die Wahl hinreichend begründen. Ggf. – falls angewandt – sollte er auch erläutern, warum er ein zweites, stützendes Wertermittlungsverfahren hinzugezogen hat. Auch sollte leicht ersichtlich sein, mit welchem Modell (z.B. AGVGA, WertV, Sprengnetter etc.) er die Wertermittlung durchgeführt hat, denn die oberste Priorität ist die Modelltreue bzw. Modellkonformität. Nur so ist der Sachverständige in der Lage, mit den dort jeweils, meist unterschiedlichen (abgeleiteten) Angaben/Werten ein marktkonformes Ergebnis zu erzielen. Auch eine Überprüfung (durch den Nachlasspfleger etc.) ist dann erst möglich.

 

Rz. 355

Zur Ableitung des Verkehrswertes gibt es unterschiedliche Verfahren:

Sachwertverfahren, §§ 21–23 ImmoWertV[293]
Ertragswertverfahren, §§ 17–20 ImmoWertV
Vergleichswertverfahren, §§ 15–16 ImmoWertV.

Ergänzend sind für die Wertermittlungsverfahren die allgemeinen Verfahrensgrundsätze (§§ 1–8 ImmoWertV) hinzuzuziehen; ergänzend im Ertragswertverfahren die §§ 9 und 14 ImmowertV.

 

Rz. 356

Die Bewertung mittels des Sachwertverfahrens erfolgt regelmäßig bei Objektarten, bei denen die Normalherstellungskosten (Sachenwert, wie die Kosten der verbauten Materialien) im Vordergrund stehen, wie z.B. bei Ein- und Zweifamilienwohnhäuser bzw. Einfamilienwohnhäuser mit Einliegerwohnung.

Am 5.12.2012 wurde vom Bundesministerium die Richtlinie zur Ermittlung des Sachwerts (Sachwertrichtlinie – SW-RL) bekanntgegeben. Im Wesentlichen sind folgende Änderungen eingetreten:

Senkung der Gesamtnutzungsdauer bei Einfamilienhäusern von 90 bzw. 100 Jahren auf 70 bzw. 80 Jahre (in NRW).
Baunebenkosten sind bereits in den Kostenkennwerten der Normalherstellungskosten NHK 2010 enthalten und werden bei der Anwendung der neuen SW-RL nicht mehr gesondert ausgewiesen.
Die Ausweisung bei den Normalherstellungskosten 2010 bezieht sich nun auf den Quadratmeter Brutto-Grundfläche (EUR/m² BGF) und sind bei Anwendung der SW-RL auch anzuwenden.
 

Rz. 357

Das Ertragswertverfahren findet seine Anwendung üblicherweise bei Immobilien, bei denen die Ertragssituation im Vordergrund steht, wie z.B.: Mietwohnhäuser, gemischt genutzte Grundstücke, Grundstücke die gewerblich bzw. industriell genutzt werden, Gebäude die von der öffentlichen Hand genutzt werden sowie Sonderimmobilen, wie Altenheime, Hotels und Freizeitimmobilien.

Am 12.11.2015 wurde vom Bundesministerium die Richtlinie zur Ermittlung des Ertragswerts (Ertragswertrichtlinie – EW-RL) bekanntgegeben. Im Wesentlichen wurde die Gesamtnutzungsdauer geändert. Daraus resultierend mussten, um die notwendige Modellkonformität zu gewährleisten, die Liegenschaftszinssätze angepasst werden. Weiterhin hat nun der Sachverständige die Möglichkeit, nach Ausweisung des vorläufigen Ertragswerts noch eine zusätzliche Marktanpassung vorzunehmen. Hier stellt sich allerdings die Frage, warum eine zusätzlich Marktanpassung erforderlich sein soll, wenn der Ertragswert auf der Grundlage marktüblich erzielbarer Erträge und nicht auf der Grundlage tatsächlich erzielter Mieten ermittelt wird. Es sollte bei einer Ausweisung einer Marktanpassung im Ertragswertverfahren vom Sachverständigen eine ausführliche, verständliche und nachvollziehbare Erläuterung im Gutachten vorhanden sein.

 

Rz. 358

Idealerweise wird, wenn ausreichend Vergleichspreise in der Kaufpreissammlung der Gutachterausschüsse (§ 195 BauGB) oder eine eigens aufgebaute Kaufpreissammlung des Sachverständigen vorhanden sind, das Vergleichswertverfahren angewandt, da hierbei die in der Vergangenheit tatsächlich realisierten Kaufvertragsabschlüsse in das Bewertungsverfahren 1:1 oder die auf das Bewertungsobjekt angepassten Kaufpreise eingeflossen sind. Hier ist aus einer ausreichenden Anzahl an Vergleichspreisen bzw. Vergleichsfaktoren der Vergleichswert gebildet. Für die Ableitung eines Vergleichswerts sind Kaufpreise heranzuziehen, die entweder hinreichend mit dem zu bewertenden Grundstück übereinstimmen bzw. die Vergleichsfaktoren zumindest weitestgehend mit den Grundstücksmerkmalen des Bewertungsgrundstücks übereinstimmen. Bei der Anwendung von Vergleichsfaktoren ist der jährliche Ertrag des Bewertungsobjekts mittels Vervielfachung bzw. sonstiger regelmäßig anzuwendender Bezugseinheiten anzuwenden, um den Vergleichswert zu ermitteln.

Am 20.3.2014 wurde vom Bundesministerium die Richtlinie zur Ermittlung des Vergleichswerts (Vergleichswertrichtlinie – VW-RL) bekanntgegeben.

 

Rz. 359

Nach Ermittlung der meist unterschiedlichen Ergebnisse der jeweiligen Wertermittlungsverfahren hat der Sachverständige unter Würdigung der Aussagefähigkeit der angewandten Verfahren unter Beachtung einer entsprechenden Gewichtung, die er zu begründen hat, den Verkehrswert abzuleiten.

[293] Zur ImmoWertV vgl. ausführlich: Bischoff, DS 2010, 215 ff. und 268 ff.; Drosdzol, ZEV 2010, 403 ff.

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