Rz. 617

Im gesetzlichen Güterstand der Zugewinn-"Gemeinschaft" nach § 1363 Abs. 2 S. 1 BGB entsteht kein gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten allein aufgrund der Ehe. Es handelt sich bei dem gesetzlichen Güterstand der sogenannten Zugewinngemeinschaft, trotz des Gegenteiliges suggerieren Begriffs, um eine Erscheinungsform der Gütertrennung. Rauscher[327] formuliert besonders genau und treffend: Die Zugewinngemeinschaft ist keine Form der dinglichen Mitberechtigung an Sachen und anderen Vermögenswerten, sondern ein System des schuldrechtlichen Ausgleichs auf Grundlage einer dinglichen Gütertrennung. Zutreffend sprechen deshalb Martin Lipp[328] von einem "Etikettenschwindel" und Röthel[329] von einer "terminologischen Camouflage". Der Begriff "Gütertrennung mit Ausgleich des Zugewinns"[330] bringt die Rechtslage jedenfalls treffender zum Ausdruck. Unter Zugrundelegung der Definition Rauschers[331] sollte der gesetzliche Güterstand als "dingliche Gütertrennung mit schuldrechtlichen Ausgleich des Zugewinns" bezeichnet werden.

 

Praxistipp

Es bleibt den Ehegatten freilich unbenommen, rechtsgeschäftlich nach den allgemeinen Regeln der §§ 873, 925, 929 ff. BGB, Miteigentum – ein Sonderfall einer Gemeinschaft nach Bruchteilen (§ 1008 BGB) – zu erwerben. Dies geschieht tatsächlich häufig, das wiederum besonders hochwertige Familienheim stellt den Hauptfall dar.

Haben die Ehegatten den Güterstand der Gütertrennung (§ 1414 BGB) vereinbart und damit bewusst zum Ausdruck gebracht, dass kein gemeinschaftliches Vermögen zwischen ihnen entstehen soll, erwerben sie gleichwohl nicht selten rechtsgeschäftlich Miteigentum an der Ehewohnung.

 

Rz. 618

Lediglich in den seltenen Fällen, in denen die Ehegatten im Güterstand der Gütergemeinschaft leben, wird das beiderseitige Vermögen der Ehegatten allein durch die Vereinbarung der Gütergemeinschaft Gesamtgut, also zu gemeinschaftlichem Vermögen beider Ehegatten, § 1416 Abs. 1 BGB. Die Auseinandersetzung des gemeinschaftlichen Vermögens ist in §§ 1471 ff. BGB umfassend geregelt. Für einen zusätzlichen Ausgleich und für die Klärung schuldrechtlicher Beziehungen der Ehegatten untereinander besteht – im Gegensatz zu der Lage bei Zugewinngemeinschaft und Gütertrennung – nur in Einzelfällen hinsichtlich des Vorbehaltsguts ein Bedarf.

 

Rz. 619

Bereits diese kurze Analyse zeigt, dass sich die "neben dem Güterrecht herlaufende, zunehmend breiter werdende zweite Spur des Vermögensausgleichs",[332] die sich zu einem "Rechtsgebiet eigener Art"[333] entwickelt hat und deren Folge eine Vielzahl gerichtlicher Verfahren ist (für die das FamFG mit § 266 Abs. 1 Hs. 1 Nr. 3 FamFG bewusst eine spezielle, die sachliche Zuständigkeit der Familiengerichte begründende Vorschrift, eingefügt hat), durch einen gesetzlichen Güterstand, der sogenannten Errungenschaftsgemeinschaft ganz erheblich reduzieren und vereinfachen ließe.[334] Die Errungenschaftsgemeinschaft stellt nämlich eine Form der Gütergemeinschaft dar mit der Einschränkung, dass gemeinschaftliches Vermögen erst nach der Eheschließung entsteht. Sie ist als gesetzlicher Güterstand gerade in den europäischen Ländern weit verbreitet.[335] Bei einer Vereinheitlichung des Güterrechts der Länder Europas kann dies nicht außer Betracht bleiben. Es wird deshalb in jüngerer Zeit zu Recht vermehrt für einen Güterstand plädiert, der eine dingliche Mitberechtigung gewährleistet.[336]

Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft verwirklicht nämlich keine gleichberechtigte Teilhabe-eben weil weder während bestehender Ehe noch mit der Scheidung eine dingliche Gemeinschaft entsteht, §§ 1363 Abs. 1 S. 2, 1378 BGB. Vielmehr besteht sowohl während bestehender Ehe als auch nach Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache ein dingliches Gefälle.[337] Das widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichwertigkeit von Familien-und Erwerbsarbeit als Grundlage für den Zugewinnausgleich,[338] den Versorgungsausgleich,[339] das Ehegattensplitting und bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts.[340] Es widerspricht aber auch den Vorstellungen der Bevölkerung: aktuelle empirische Untersuchungen haben ergeben, dass 93 % der Frauen und 87 % der Männer erwarten, dass alles, was während der Ehe erworben wird, beiden Partnern gleichermaßen gehört.[341] Bei der Errungenschaftsgemeinschaft fließt, wie in der Bevölkerung angenommen, das während der Ehe erworbene Vermögen in ein Gesamtgut, woran beide Partner dinglich berechtigt sind. Diese Lösung ist auch und gerade gleichstellungspolitisch relevant: Mit der Forderung nach einer Gleichbewertung von Hausarbeit und außerhäuslicher Erwerbsarbeit wird erst dann wirklich ernst gemacht, wenn dem nichterwerbstätigen Ehegatten schon bei bestehender Ehe eine Möglichkeit der Teilhabe eröffnet wird.[342]

[327] Rauscher, Rn 373.
[328] In: FamRZ 1996, 1117, 1119.
[329] In: FPR 2009, 273.
[330] Soergel/Lange, § 1363 BGB Rn 3.
[331] Rauscher, Rn 373.
[332] So Schwab, Brühler Schriften zum Familienrecht, 11 DFGT, S. 50.
[333] So t...

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