Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 50
Das materielle Patientenverfügungsrecht beschränkt sich nicht auf die Patientenverfügung, wie sie § 1827 Abs. 1 S. 1 BGB (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB a.F.) definiert, sondern unterscheidet zwischen
Rz. 51
Eine Patientenverfügung im Sinne des Gesetzes § 1827 Abs. 1 S. 1 BGB (§ 1901 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.) liegt (unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung) immer nur dann vor, wenn
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ein einwilligungsfähiger Volljähriger |
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für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit |
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in Schriftform festgelegt hat, |
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dass er in bestimmte |
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unmittelbar noch nicht bevorstehende |
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Untersuchungen seines Gesundheitszustands, in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe |
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einwilligt oder |
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sie untersagt. |
Rz. 52
Eine Patientenverfügung kommt nach § 1827 Abs. 1 BGB (§ 1901a Abs. 1 BGB a.F.) bei einer Entscheidung über eine medizinische Maßnahme/Unterlassung nur dann zum Einsatz, wenn
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der Patient für eine aktuell und konkret anstehende medizinische Behandlung einwilligungsunfähig, ablehnungsunfähig oder widerrufsunfähig ist |
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die Patientenverfügung wirksam ist |
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die Patientenverfügung die konkret anstehende Entscheidungssituation geregelt hat und |
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die Patientenverfügung (noch) auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zutrifft. |
Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, muss der Betreuer/der Bevollmächtigte nach § 1827 Abs. 2 BGB (§ 1901a Abs. 2 BGB a.F.)
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die Behandlungswünsche oder |
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den mutmaßlichen Willen |
des Patienten feststellen und dann entscheiden, ob er aufgrund des so festgestellten Patientenwillens in die ärztliche Maßnahme einwilligt, sie untersagt oder widerruft.
Rz. 53
Patientenverfügung, Behandlungswünsche und der mutmaßliche Wille sind im Sinne eines Rankings zu verstehen, wenn der Patient selbst nicht mehr einwilligungsfähig ist. Und nur dann! Es gilt immer der Vorrang der eigenen Entscheidung des einwilligungsfähigen Patienten, die selbst dann nicht durch einen Betreuer ersetzt werden kann, wenn diesem der Aufgabenbereich der Gesundheitssorge zugewiesen ist. Das setzt sich fort, wenn eine Patientenverfügung i.S.d. § 1827 Abs. 1 BGB (§ 1901a Abs. 1 BGB a.F.) besteht, wie der BGH ausdrücklich bestätigt hat:
Zitat
"Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat. Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a Abs. 1 S. 2 BGB)."
Handlungsleitend ist für Betreuer und Vorsorgebevollmächtigten immer der Wille des Betreuten/Vollmachtgebers. "Die Ersetzung des Willens der Betreuten durch den Betreuer und das Betreuungsgericht kommt unter den Voraussetzungen des § 1904 BGB überhaupt nur subsidiär in Betracht, wenn ihr tatsächlicher oder mutmaßlicher Wille nicht festzustellen ist."