I. Allgemeines

 

Rz. 235

War der Rechtsanwalt bereits außergerichtlich für die Partei tätig, entsteht ihm eine Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV. Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV ist die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV (nachfolgend Geschäftsgebühr genannt) bis zur Hälfte, höchstens jedoch zu einem Gebührensatz von 0,75 auf eine im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV (nachfolgend Verfahrensgebühr genannt) anzurechnen.

Der BGH hat am 7.3.2007[430] entschieden, dass die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV um die außergerichtlich angefallene Geschäftsgebühr auch im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO zu ermäßigen ist. Dies war vorher unbeachtlich, da in diesem Verfahren keine außergerichtlichen Ansprüche tituliert wurden, was sich wiederum aus § 91 ZPO ergibt. Die vorgenannte Entscheidung löste danach eine Flut an Rechtsprechung[431] und Diskussion in der Praxis zu dieser Thematik aus. Ferner wurde das Kostenfestsetzungsverfahren mit materiellen Problemen belastet, für welche dieses Verfahren nicht geeignet ist. Ebenso wurde danach durch die Rechtsprechung entschieden, dass die Geschäftsgebühr auch bei der Vergütungsfestsetzung zugunsten eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts zu beachten ist.[432]

 

Rz. 236

Um diese Problematik zu bereinigen hat der Gesetzgeber zum 5.8.2009 die Vorschrift des § 15a RVG eingefügt:

 

§ 15aAnrechnung einer Gebühr

(1) Sieht dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren.

(2) Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.

 

Rz. 237

Es wird in Absatz 1 das Innenverhältnis zwischen dem Anwalt und dem Auftraggeber geregelt. Hier wird klargestellt, dass die anzurechnenden Gebühren erstmal unabhängig voneinander in voller Höhe entstehen. Dies bedeutet, dass der Anwalt zunächst auch jede der Gebühren in voller Höhe gelten machen kann. Eine Zahlung der Geschäftsgebühr bewirkt jedoch, dass im Rahmen der Anrechnung die weitere Verfahrensgebühr in dieser Höhe erlischt. Somit kann der Anwalt nicht beide Gebühren gleichzeitig und in voller Höhe erhalten, sondern nur den Gesamtbetrag, der um die entsprechende Anrechnung vermindert ist.

[430] NZM 2007, 397.
[431] Jungbauer in Bischof, VV 2300 Rn 234 ff.
[432] OLG Koblenz NJOZ 2009, 2626; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2009, 1006; OLG Düsseldorf BeckRS 2009, 05374; OLG Braunschweig NJW-RR 2009, 558; OLG Koblenz BeckRS 2009, 08389.

II. Anrechnung im Rahmen des § 15a RVG bei bewilligter Prozesskostenhilfe

 

Rz. 238

Die Problematik der Anrechnung der Geschäftsgebühr stellt sich auch dem Anwalt, der im Rahmen der Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe beigeordnet wurde.

Die Rechtsprechung[433] hat bereits vor der Einführung des § 15a RVG entschieden, dass die Anrechnung der außergerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auch für den im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt zu beachten ist. Dies ist jetzt ebenfalls durch § 15a RVG geregelt, denn im Zuge der Einführung der vorgenannten Bestimmung wurde gleichzeitig auch die Vorschrift des § 55 Abs. 5 RVG über das Festsetzungsverfahren der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung, insbesondere Sätze 2–4 wie folgt geändert:

§ 55 Abs. 5 RVG:

 

(5) § 104 Abs. 2 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Antrag hat die Erklärung zu enthalten, ob und welche Zahlungen der Rechtsanwalt bis zum Tag der Antragstellung erhalten hat. Bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr sind diese Zahlungen, der Satz oder der Betrag der Gebühr und bei Wertgebühren auch der zugrunde gelegte Wert anzugeben. Zahlungen, die der Rechtsanwalt nach der Antragstellung erhalten hat, hat er unverzüglich anzuzeigen.

 

Rz. 239

Durch diese neu eingeführte Anzeigepflicht der tatsächlichen Zahlung der Geschäftsgebühr ist nunmehr bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle die Möglichkeit gegeben, den genauen Umfang der anzurechnenden Zahlung auf die festzusetzende Gebühr festzustellen. Darüber hinaus spart dies in der Praxis auch ein weiteres, ggf. unnötiges Nachfragen des Gerichts, ob eine außergerichtliche Gebühr tatsächlich geleistet ist und beschleunigt somit auch das Vergütungsfestsetzungsverfahren. Die Anzeigepflicht ergibt sich, ebenso wie bei Vorschüssen, nunmehr ausdrücklich aus dem Gesetz.

Ferner hat dies auch zur Folge, dass eine Anrechnung nur erfolgt, wenn der Rechtsanwalt seitens der Prozesskostenhilfe-Partei die Geschäftsgebühr auch von dieser erhalten hat, also tatsächlich gezahlt wurde. Es kommt im Rahmen des Vergütungsfestsetzungsverfahrens im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht darauf an, ob die Geschäftsgebühr "nur" entstanden ist. Ein Erstattungsanspr...

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