Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
a) Typischer Sachverhalt
Rz. 655
In einem Einzelhandelsbetrieb plant der zuständige Betriebsrat, am 19.12.2023 um 10.00 Uhr eine ordentliche Betriebsversammlung abzuhalten. Mit Schreiben vom 10.12.2023 teilt er dies dem Arbeitgeber mit. Der ist angesichts der Beeinträchtigung des umsatzstarken Weihnachtsgeschäfts nicht einverstanden und bittet den Betriebsrat am 12.12.2023 um einen Termin außerhalb des Weihnachtsgeschäfts. Der Betriebsrat lehnt dies noch am selben Tag ab. Er habe im Kalenderjahr die ihm zustehenden Betriebsversammlungen noch nicht durchgeführt. Der Arbeitgeber beantragt daraufhin am 15.12.2023 bei dem zuständigen ArbG den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der für den 19.12.2023 einberufenen Betriebsversammlung.
b) Rechtliche Grundlagen
Rz. 656
Im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsversammlung nach §§ 42 ff. BetrVG ist das Rechtsschutzmittel der einstweiligen Verfügung von hoher praktischer Relevanz. Der Arbeitgeber wird oft nur kurzfristig über geplante Versammlungen informiert. Ein Hauptsacheverfahren dauert daher zu lange. Der Verfügungsantrag kann sich gegen die Durchführung einer bestimmten Betriebsversammlung generell oder ihre Durchführung im Speziellen, insbesondere die geplanten Tagesordnungspunkte, den Teilnehmerkreis, eine Fortsetzung sowie wie im Beispielsfall deren Zeitpunkt richten. Unbeachtlich ist grds., ob gegen eine ordentliche oder außerordentliche Betriebs-, eine Teil- oder eine Abteilungsversammlung vorgegangen werden soll. Während der pandemiebedingten Geltung des § 129 Abs. 1 BetrVG durften unter bestimmten Voraussetzungen Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 BetrVG mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden. Das konnte während der Geltung der Norm zu Auseinandersetzungen auch im Verfügungsverfahren führen, etwa wenn der Arbeitgeber eine vom Betriebsrat geplante Präsenz-Versammlung durch eine (kostengünstige) Online-Versammlung ersetzt wissen will.
Rz. 657
Praxistipp
Da dem Betriebsrat das Hausrecht der Betriebsversammlung zusteht, sind umgekehrte Konstellationen, dass nämlich der Betriebsrat im Wege der einstweiligen Verfügung versucht, eine Betriebsversammlung effektiv durchzusetzen, die Ausnahme. Der Betriebsrat beschließt die Durchführung und setzt den Beschluss um. Ist der Arbeitgeber nicht einverstanden, muss er gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das BAG gewährt ihm grds. Anspruch auf eine Feststellungsverfügung, obgleich § 23 BetrVG dem Arbeitgeber keinen Unterlassungsanspruch einräumt. Der Arbeitgeber sollte daher jedenfalls hilfsweise für den Fall, dass keine Unterlassungsverfügung gewährt wird, eine Feststellungsverfügung anhängig machen (s.u. Muster).
aa) Verfügungsanspruch
Rz. 658
Eine einstweilige Verfügung gegen die generelle Durchführung einer Versammlung kommt allenfalls in Betracht, wenn die Versammlung selbst rechtsgrundlos erscheint. Bei den regelmäßigen, vierteljährlich abzuhaltenden Betriebsversammlungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG wird das nur ausnahmsweise der Fall sein.
Rz. 659
Praktisch relevant ist der einstweilige Rechtsschutz gegen die Abhaltung zusätzlicher Betriebsversammlungen. Der Betriebsrat darf sie einmal pro Kalenderhalbjahr neben den regelmäßigen Betriebsversammlungen abhalten, wenn dies aus besonderen Gründen als zweckmäßig erscheint (§ 43 Abs. 1 S. 4 BetrVG). Besondere Gründe liegen vor, wenn außergewöhnliche Vorkommnisse zu einem Bedürfnis nach zusätzlicher Information und zusätzlichem Meinungsaustausch der Belegschaft führen, die einen Aufschub bis zur nächsten ordentlichen Betriebsversammlung auch unter der Berücksichtigung weiterer Informationsmöglichkeiten ausschließen. Eine zusätzliche Betriebsversammlung wird daher bspw. anlässlich von Betrie...