Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 40
Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen und hat der Arbeitnehmer nach dem KSchG Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen weiterbeschäftigen, § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG. Diese Vorschrift gibt dem Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess, unabhängig von dessen Ausgang, unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung. Das bisher zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird kraft Gesetzes fortgesetzt. Es ist auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage. Der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch ist als Hauptantrag zu verfolgen, weil er kein stattgebendes Urteil über den Kündigungsschutzantrag voraussetzt.
Rz. 41
Der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG setzt zunächst eine ordentliche Kündigung voraus. Bei einer außerordentlichen Kündigung kommt er nur in Betracht, wenn es sich um eine solche mit sozialer Auslauffrist handelt, bei einer Änderungskündigung nur, wenn der Arbeitnehmer die geänderten Arbeitsbedingungen vorbehaltlos ablehnt.
Rz. 42
Nur ein frist- und ordnungsgemäßer Betriebsratswiderspruch vermag den Weiterbeschäftigungsanspruch zu begründen. Das bedeutet, dass der Widerspruch dem Arbeitgeber innerhalb einer Woche zugehen (§ 102 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 1 BetrVG) und auf einem wirksamen Betriebsratsbeschluss beruhen muss. Der Widerspruch hat schriftlich zu erfolgen und verlangt eine eingehende Begründung. Er muss sich auf einen oder mehrere der in § 102 Abs. 3 BetrVG aufgezählten Gründe beziehen und den oder die Gründe fallbezogen durch Tatsachen konkretisieren. Der vorgetragene Sachverhalt muss es als möglich erscheinen lassen, dass einer der im Gesetz aufgezählten Widerspruchsgründe vorliegt. Die formelhafte Wiederholung des Gesetzestextes reicht für einen ordnungsgemäßen Widerspruch nicht aus.
Rz. 43
Der gekündigte Arbeitnehmer muss zudem in den persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich des KSchG fallen und Kündigungsschutzklage erhoben haben. Der Weiterbeschäftigungsanspruch kommt auch in Betracht, wenn die Feststellungsklage wegen Unwirksamkeit der Kündigung aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit erhoben worden ist.
Rz. 44
Die Erhebung der Kündigungsschutzklage allein reicht nicht aus, um die Weiterbeschäftigungspflicht auszulösen. Erforderlich ist vielmehr ein deutlich geäußertes Verlangen nach Weiterbeschäftigung. Dies kann in einem außergerichtlichen Schreiben, im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung oder (siehe oben Rdn 36) durch Klagehäufung neben dem Feststellungsantrag geschehen. Das Verlangen muss unverzüglich, spätestens bis zum ersten Arbeitstag nach Ablauf der Kündigungsfrist geäußert werden.
Rz. 45
Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Arbeitsgericht ihn nach Maßgabe des § 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG durch einstweilige Verfügung von der Weiterbeschäftigungspflicht entbinden, wenn
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die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder |
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die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder |
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der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war. |