Isabel Hexel, Martina Hidalgo
a) Allgemeines
aa) Antragsbefugnis
Rz. 335
Einen Antrag nach § 23 Abs. 3 BetrVG kann außer dem Betriebsrat auch jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft stellen. Sie muss hierfür nicht in eigenen Rechten betroffen sein, sondern kann auch die Rechte des Betriebsrats geltend machen. Umgekehrt kann auch der Betriebsrat § 23 Abs. 3 BetrVG nutzen, wenn Rechte der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft verletzt wurden.
bb) Pflichten nach dem BetrVG
Rz. 336
§ 23 Abs. 3 BetrVG betrifft Verpflichtungen des Arbeitgebers, die im BetrVG oder im AGG begründet sind (§ 17 Abs. 2 AGG). Allerdings sind auch Verstöße, die andere Gesetze verletzen, z.B. die Beteiligung des Betriebsrats vor Massenentlassungen nach § 17 Abs. 2 KSchG oder im Schwerbehindertenrecht nach §§ 181, 182 SGB IX, als betriebsverfassungsrechtliche Verstöße i.S.d. § 23 Abs. 3 BetrVG erfasst, soweit sie die betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsbeziehungen näher ausgestalten.
Rz. 337
Auch Pflichten, die sich für den Arbeitgeber aus einer Betriebsvereinbarung (ggf. in Form eines Spruchs einer Einigungsstelle) ergeben, fallen unter die Verpflichtungen i.S.v. § 23 Abs. 3 BetrVG. Allerdings dürfte der Betriebsrat regelmäßig bereits unmittelbar nach § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG oder direkt aus der betroffenen Betriebsvereinbarung einen Anspruch auf ordnungsgemäße Durchführung der Vereinbarung haben – und somit unabhängig davon, ob ein grober Verstoß vorliegt.
cc) Prozessstandschaft
Rz. 338
Grundsätzlich kann der Betriebsrat nicht als Prozessstandschafter die individualrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmer, sondern nur eigene Rechte geltend machen. Für § 23 Abs. 3 BetrVG sieht dessen Satz 1 jedoch eine Prozessstandschaft gesetzlich vor. Dadurch kann der Betriebsrat in eigenem Namen Rechte der Arbeitnehmer geltend machen, soweit das BetrVG solche Rechte mit kollektivem Bezug begründet, so z.B. nach § 81 Abs. 4 S. 3 und § 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG (Hinzuziehung des Betriebsrats) oder nach § 75 BetrVG (Benachteiligungsverbot).
b) Materiellrechtlich
aa) Grober Verstoß
Rz. 339
Der Anspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG setzt voraus, dass der Arbeitgeber bereits einen groben Verstoß begangen hat. Die bloße Besorgnis, der Arbeitgeber werde gegen seine Pflichten grob verstoßen, reicht nicht aus.
Rz. 340
Ein Pflichtverstoß ist nach ständiger BAG-Rechtsprechung grob, wenn er "objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend" ist. Mit dieser Formel ist eine objektive und eine subjektive Komponente angesprochen. Die Schwere des Verstoßes muss für den Arbeitgeber erkennbar sein; ein Verschulden ist aber nicht nötig.
Auch eine einmalige Pflichtverletzung kann einen groben Verstoß darstellen, wenn sie schwerwiegend ist.
Ein grober Verstoß liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage eine bestimmte Meinung vertritt.
Auch leichtere Verstöße können bei Wiederholung zu einem groben Verstoß führen; ein grober Verstoß ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Arbeitgeber mehrmals erzwingbare Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats übergangen hat.
Rz. 341
Der grobe Verstoß des Arbeitgebers muss einen kollektiven Tatbestand berühren. So scheiden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei individuellen Maßnahmen ohne kollektiven Bezug aus. Ein kollektiver Tatbestand liegt aber regelmäßig dann vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer berührt.