Isabel Hexel, Martina Hidalgo
Rz. 645
Vermutet der Arbeitgeber, dass der Betriebsrat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Betriebsänderung gegen ihn beantragen will, ist es ratsam, eine Schutzschrift zu hinterlegen. Dies erfolgt seit 1.1.2016 elektronisch über die Einstellung in das zentrale Schutzschriftenregister (§ 945a Abs. 1 ZPO). Sie gilt dann als bei allen Arbeitsgerichten der Länder eingereicht (§ 85 Abs. 2 S. 3 ArbGG).
a) Instrument der Schutzschrift
Rz. 646
Das Instrument der Schutzschrift hat sich lange vor seiner gesetzlichen Verankerung in § 945a ZPO, §§ 62 Abs. 2 S. 3 und 85 Abs. 2 S. 3 ArbGG (gültig seit 1.1.2016) durchgesetzt. Damit soll ausgeschlossen werden, dass das Gericht ohne Kenntnis der eigenen Rechtsposition ggf. ohne mündliche Verhandlung eine einstweilige Verfügung erlässt. Schutzschriften sind nach der gesetzlichen Legaldefinition "vorbeugende Verteidigungsschriften gegen zu erwartende Anträge auf Arrest und einstweilige Verfügung" (§ 945a Abs. 1 S. 2 ZPO).
Rz. 647
Wegen des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und des Untersuchungsgrundsatzes im Beschlussverfahren besteht spätestens seit der gesetzlichen Anerkennung der Schutzschrift als Instrument des Zivilprozesses eine Verpflichtung des Gerichts, Vorbringen aus der Schutzschrift zu berücksichtigen.
Rz. 648
Um die Gerichte von dem Verwaltungsaufwand zu entlasten, Schutzschriften zu registrieren, zu verwahren und zu archivieren, wurde bereits seit 2007 ein privates Zentrales Schutzschriftenregister aufgebaut, bei dem Schutzschriften hinterlegt werden konnten. Einige Zivilgerichte haben sich daraufhin freiwillig bereit erklärt, bei Eingang einer einstweiligen Verfügung im Schutzschriftenregister abzurufen, ob eine Schutzschrift hinterlegt ist.
Das zunächst privatrechtlich organisierte Schutzschriftenregister wurde ab 1.1.2016 von der Landesjustizverwaltung in Hessen übernommen, das seitdem für alle Bundesländer das elektronische Zentrale Schutzschriftenregister (ZSSR) zur Verfügung stellen muss. Gesetzlich flankiert wurde dieser Schritt durch §§ 945a, 945b ZPO zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, die für die Arbeitsgerichtsbarkeit durch §§ 62 Abs. 2 S. 3 ArbGG und 85 Abs. 2 S. 3 ArbGG ergänzt wurden. Danach gilt eine Schutzschrift, die in das ZSSR eingestellt wird, bei allen Arbeitsgerichten der Länder als eingereicht. Seit dem 1.1.2017 sind Rechtsanwälte gem. § 49c BRAO berufsrechtlich dazu verpflichtet, das ZSSR anzuwenden.
b) Verfügungsanspruch des Betriebsrats
Rz. 649
Ob der Betriebsrat mit einem Antrag auf Unterlassung einer Betriebsänderung im einstweiligen Verfügungsverfahren Erfolg hat, hängt stark davon ab, in welchem Gerichtsbezirk der Betrieb liegt, in dem die Betriebsänderung vorgenommen werden soll. Es besteht ein sog. "Nord-Süd-Gefälle": Während die Landesarbeitsgerichte im "Norden" (z.B. Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamm, Thüringen, Hessen) einen Unterlassungsanspruch zuerkennen, lehnen ihn die Gerichte im "Süden" (z.B. Baden-Württemberg, Nürnberg, München – bis auf die 6. Kammer des LAG München –, Düsseldorf, Köln, Rheinland-Pfalz) eher ab. Dieses "Gefälle" ist zwar nicht immer "stabil", da einzelne Landesarbeitsgerichte (oder zumindest einzelne Kammern) im Hinblick auf europarechtliche Argumente ihre früher gefestigte Rechtsprechung aufgeben und einen Unterlassungsanspruch anerkennen. Trotzdem kann man nicht von einer "Trendwende" sprechen (zum Ganzen mit Rechtsprechungsübersicht vgl. § 2 Rdn 968 ff.). Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist noch uneinheitlicher und differiert teilweise innerhalb eines Gerichts von Kammer zu Kammer.
Praxishinweis
Der Unternehmer sollte sich also bei einer Betriebsänderung stets darüber informieren, wie das für ihn zuständige Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht im Hinblick auf einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates entscheidet.
Rz. 650
Hat der Arbeitgeber die geplante Betriebsänderung allerdings bereits vollständig umgesetzt und damit einen irreversiblen Zustand geschaffen, sind die Verhandlungen über einen Interessenausgleich gegenstandslos und können auch nicht mehr nachgeholt werden. Ein etwaiger Unterlassungsantrag des Betriebsrats wird dann wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses/Verfügungsgrundes abgewiesen, da es keinen Verhandlungsanspruch mehr gibt, der im Wege der einstweiligen Verfügung gesichert werden könnte.