Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 107
Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG). Er hat im Kündigungsschutzprozess alle Umstände darzulegen, die den Vorwurf begründen, der Arbeitnehmer habe vertragswidrig gehandelt, und die Gründe wiegen so schwer, dass sie die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfallen lassen.
aa) Pflichtverletzung
Rz. 108
Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt eine Pflichtverletzung voraus. Die Pflichtverletzung muss dem Arbeitnehmer vorwerfbar sein, d.h. es muss sich – in Abgrenzung zum personenbedingten Kündigungsgrund – um ein steuerbares Verhalten handeln. In Betracht kommen insofern Verstöße gegen die Hauptleistungspflicht (Arbeitsverweigerung oder Schlechtleistung), Verstöße gegen Verhaltenspflichten, Störungen im Vertrauensbereich sowie die Verletzung von Nebenpflichten. Ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Arbeitnehmers ist geeignet, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund zu begründen, wenn es arbeitsvertragsrelevant ist.
Rz. 109
Praxishinweis
Eine gravierende Schlecht- oder Minderleistung kann sowohl eine verhaltens- als auch eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Dies hängt davon ab, ob der Arbeitnehmer die Leistung erbringen könnte, wenn er wollte (dann verhaltensbedingt) oder ob das Leistungsdefizit auf mangelnder Eignung beruht (dann personenbedingt). Da dies vom Arbeitgeber im Einzelfall teilweise schwer zu beurteilen ist, empfiehlt es sich, die Kündigung vorsorglich auf beide Gründe zu stützen. Erforderlich dafür ist allerdings, dass der Betriebsrat zu beiden Kündigungsgründen angehört worden ist.
In der Klageerwiderung ist die Pflichtverletzung, auf die die Kündigung gestützt werden soll, vom Arbeitgeber substantiiert darzulegen und zu beweisen. Es sind insofern Art, Ort, Zeit und Inhalt der Pflichtverletzung konkret anzugeben. Pauschale Behauptungen oder Tatsachenwertungen wie "Arbeitsverweigerung", "Beleidigungen" oder "dauerndes Zuspätkommen" genügen nicht. Vom Arbeitgeber darzulegen ist auch die Rechtswidrigkeit der Pflichtverletzung. Es liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag oder den Umständen des Einzelfalls erlaubt war. Insofern trifft den Arbeitgeber auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Allerdings braucht der Arbeitgeber in der Klageerwiderung nicht schon alle denkbaren Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Der Umfang der konkreten Darlegungs- und Beweisführungslast richtet sich danach, wie substantiiert sich der Arbeitnehmer auf die Kündigungsgründe einlässt. Es obliegt zunächst dem Arbeitnehmer, Tatsachen, die einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund ausfüllen, substantiiert vorzutragen.
Die verhaltensbedingte Kündigung kann – zumindest hilfsweise – auch auf den Verdacht eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers gestützt werden, der das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört hat (sog. Verdachtskündigung). Erforderlich ist ein schwerwiegender Verdacht einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung, der sich aus im Zeitpunkt der Kündigung objektiv vorliegenden Tatsachen ergibt. Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für die den Verdacht begründenden Indizien. Bloße auf Vermutungen gestützte Verdächtigungen des Arbeitgebers reichen nicht. Bei einer Verdachtskündigung ist neben den, den Verdacht begründenden, Tatsachen vom Arbeitgeber darzulegen, dass er vor Ausspruch der Kündigung alles Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan hat. Hierzu gehört insbesondere die Darlegung, dass der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung umfassend zu dem Verdacht angehört worden ist, und der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer ggf. vorgetragenen entlastenden Tatsachen nachgegangen ist.
Rz. 110
Praxishinweis
Um die verhaltensbedingte Kündigung für den Fall der Nichterweislichkeit der Tat hilfsweise mit dem Verdacht eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens begründen zu können, ist erforderlich, dass der Betriebsrat auch zur Verdachtskündigung angehört worden ist. Denn der Verdacht einer Pflichtverletzung oder strafbaren Handlung stellt einen eigenständigen Kündigungsgrund i.S.d § 102 BetrVG dar. In Betrieben ohne Betriebsrat kann der Arbeitgeber den Kündigungsgrund "Verdachtskündigung" im Kündigungsschutzprozess unbeschränkt nachschieben.