Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 658
Eine einstweilige Verfügung gegen die generelle Durchführung einer Versammlung kommt allenfalls in Betracht, wenn die Versammlung selbst rechtsgrundlos erscheint. Bei den regelmäßigen, vierteljährlich abzuhaltenden Betriebsversammlungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG wird das nur ausnahmsweise der Fall sein.
Rz. 659
Praktisch relevant ist der einstweilige Rechtsschutz gegen die Abhaltung zusätzlicher Betriebsversammlungen. Der Betriebsrat darf sie einmal pro Kalenderhalbjahr neben den regelmäßigen Betriebsversammlungen abhalten, wenn dies aus besonderen Gründen als zweckmäßig erscheint (§ 43 Abs. 1 S. 4 BetrVG). Besondere Gründe liegen vor, wenn außergewöhnliche Vorkommnisse zu einem Bedürfnis nach zusätzlicher Information und zusätzlichem Meinungsaustausch der Belegschaft führen, die einen Aufschub bis zur nächsten ordentlichen Betriebsversammlung auch unter der Berücksichtigung weiterer Informationsmöglichkeiten ausschließen. Eine zusätzliche Betriebsversammlung wird daher bspw. anlässlich von Betriebsänderungen geboten sein. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende Konkretisierung der arbeitgeberseitigen Planungen. Bloße Zielvorstellungen reichen nicht aus. Der Betriebsrat hat jedoch einen weiten Ermessensspielraum und unterliegt in seiner Entscheidung nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.
Rz. 660
Gleiches gilt für außerordentliche Betriebsversammlungen, die der Betriebsrat neben den ordentlichen und zusätzlichen Betriebsversammlungen einberufen kann bzw. auf Antrag des Arbeitgebers oder eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer einberufen muss (§ 43 Abs. 3 S. 1 BetrVG).
Rz. 661
Eine einstweilige Verfügung kann sich weiterhin gegen die Durchführung einer Versammlung im Besonderen richten oder gegen die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Räumlichkeit.
Rz. 662
Ein häufiger Streitpunkt ist die zeitliche Lage. Grds. gilt: Die regelmäßigen (§ 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG) und zusätzlichen (§ 43 Abs. 1 S. 4 BetrVG) Betriebsversammlungen finden, anders als die außerordentlichen (§ 43 Abs. 3 S. 1 BetrVG), während der Arbeitszeit statt, soweit nicht die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert (§ 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Unter der Eigenart des Betriebs ist in erster Linie die organisatorisch-technische Besonderheit des konkreten Betriebs zu verstehen. Nach der Rechtsprechung muss keine technische Unmöglichkeit vorliegen, wohl aber eine technisch untragbare Störung des eingespielten Betriebsablaufs. Wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen allein reichen grds. nicht aus, damit die Versammlung wegen zwingender Erfordernisse außerhalb der Arbeitszeit stattfindet. Im Einzelhandel ist es daher regelmäßig gerechtfertigt, Betriebsversammlungen während der Ladenöffnungszeiten durchzuführen. Sie ist aber außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit anzuberaumen, wenn die Unterbrechung des Geschäftsbetriebs zu einer besonderen Härte führen würde, was in Zeiten des Weihnachts- oder Ostergeschäfts der Fall sein kann. Denn generell bestimmt zwar der Betriebsrat, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Arbeitszeit die Betriebsversammlung stattfinden soll. Er ist allerdings aus den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit, § 2 Abs. 1 BetrVG, des Übermaßverbots sowie aus § 74 Abs. 1 BetrVG heraus verpflichtet, auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. Es ist zu weitgehend, wenn das LAG Köln dem Arbeitgeber die Antragsbefugnis gerichtet auf Verlegung einer Betriebsversammlung nur zuerkennen will, wenn sich nicht genügend Arbeitnehmer finden, die an der Versammlung nicht teilnehmen, so dass der Geschäftsbetrieb weiterlaufen könnte. Die Teilnahme ist regelmäßig keine Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes, denn der Arbeitnehmer steht dem Arbeitgeber dann nicht zur Verfügung, da die Teilnahme freiwillig ist und dem Betriebsrat das Hausrecht zu steht. Die Kosten der Versammlungen trägt der Arbeitgeber.
Rz. 663
Die gleichen Erwägungen sind anzustellen bei der Entscheidung, ob eine Voll- oder Teilversammlung anzuberaumen ist. Grds. sind Vollversammlungen durchzuführen, so dass selbst die Schließung einzelner Filialen im Bereich der Daseinsvorsorge (Post AG) wegen einer Vollversammlung hinzunehmen ist; jedoch sprechen gesetzliche Betriebspflichten (Flughafen) für Teilversammlungen.
Rz. 664
Die einstweilige Verfügung kann sich ferner gegen die geplanten Tagesordnungspunkte richten, soweit diese sich nicht in dem von § 45 S. 1 BetrVG vorgegebenen Rahmen bewegen. In der Betriebsversammlung dürfen alle Vorgänge besprochen werden, für die ein konkreter Bezugspunkt zum Betrieb oder den dort Beschäftigten in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer dieses Betriebs besteht, wobei die Angelegenheit nicht ausschließlich den Betrieb oder seine Arbeitnehmer betreffen muss.
Rz. 665
Schließlich kann auch der geplante Teilnehmerkreis Gegenstand der einstweiligen Verfügung sein. Teilnahmeberechtig...