Rz. 13
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG finden die regelmäßigen, zusätzlichen und die auf Wunsch des Arbeitgebers einberufenen Betriebsversammlungen sowie Wahlversammlungen nur dann nicht während der Arbeitszeit statt, wenn die Eigenart des Betriebs eine andere Regelung zwingend erfordert. Da § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine Schutzbestimmung zugunsten der Arbeitnehmer ist, ist die Anberaumung der Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig.
Rz. 14
Unter der Eigenart des Betriebs ist – wie im Rahmen von § 42 Abs. 1 Satz 3 BetrVG – in erster Linie die organisatorisch-technische Besonderheit des konkreten Einzelbetriebs zu verstehen.
Es muss eine technisch untragbare Störung eines eingespielten Betriebsablaufs eintreten, die nur in diesem Betrieb oder nur in bestimmten Arten von Betrieben auftreten und zu unangemessen betrieblichen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führen kann.
Arbeitet ein Produktionsbetrieb in einer zeitlich straffen Just-in-Time-Organisation und sind mit seinen Kunden für die nicht termingerechte Herstellung der Ware hohe Vertragsstrafen vereinbart, die bei einer Betriebsversammlung während der Arbeitszeit verwirken, so handelt es sich nicht um eine organisatorisch-technische Besonderheit des Einzelbetriebs, sondern um bloße wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen.
Rz. 15
Aus dem Wortlaut des Gesetzes, das ausdrücklich auf die Erfordernisse des Betriebs abstellt, wird deutlich, dass besondere Umstände gegeben sein müssen, die in der technischen Organisation des Betriebes begründet sind. Bloße wirtschaftliche Zumutbarkeitserwägungen zählen daher grundsätzlich nicht zu den zwingenden Erfordernissen. Auch allgemeine wirtschaftliche Erwägungen oder bloße Unbequemlichkeiten, die generell in dem Betrieb durch eine Betriebsversammlung während der Arbeitszeit entstehen, müssen vom Arbeitgeber grundsätzlich geduldet werden. Insoweit muss daher in angemessenem Rahmen der Arbeitgeber auch einen Ausfall der Produktion während der Zeit der Betriebsversammlung in Kauf nehmen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen, die allein auf dem Produktionsausfall während der Dauer der Betriebsversammlung beruhen, können keine Ausnahme von § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rechtfertigen. Etwas anderes kann nur in Fällen einer "absoluten wirtschaftlichen Unzumutbarkeit" gelten; diese ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, hier insbesondere des § 2 Abs. 1 BetrVG, erheblich.
In Betracht kommen als solche besondere Ausnahmefälle etwa:
- ungewöhnliche Produktionsausfälle,
- Scheitern eines Großauftrags,
- außergewöhnliche Umsatzeinbußen.
Rz. 16
In all diesen Fällen müssen aber ganz besondere Umstände vorliegen, die eine "absolute wirtschaftliche Unzumutbarkeit" begründen. Eine "absolute wirtschaftliche Unzumutbarkeit" ist dabei nur unter äußerst strengen Voraussetzungen anzunehmen. Da in allen Produktionsbetrieben eine Betriebsversammlung während der Arbeitszeit dazu führt, dass die Produktion für die Zeit der Betriebsversammlung ruht, wird man hierfür fordern müssen, dass bei Durchführung der Betriebsversammlung während der Arbeitszeit ein wirtschaftlich ruinöser Schaden entsteht. Dies kann etwa bei einer drohenden Vertragsstrafe von rund 90.000,00 EUR nicht ohne Weiteres angenommen werden.
Führt die während der Arbeitszeit abgehaltene Betriebsversammlung aufgrund organisatorischen Verflechtungen zur Stilllegung der Produktion für einen ganzen Tag, ist eine untragbare Störung des Betriebsablaufs jedoch im Regelfall anzunehmen.
Rz. 17
Keineswegs ist aber das Stattfinden der Betriebsversammlung während der Öffnungszeiten eines Ladenlokals wegen der Eigenart des Betriebs ausgeschlossen. Vielmehr stellt bei Einzelhandelsgeschäften und Warenhäusern die Ladenöffnungszeit gerade die betriebliche Arbeitszeit dar, in der nach der gesetzlichen Bestimmung die Betriebsversammlung stattzufinden hat. Abgesehen davon, kann das Geschäft meist auch ohne Weiteres geschlossen werden. Die reine Gefahr, dass enttäuschte Kunden, die vor der verschlossenen Ladentür stehen, an diesem Tag und womöglich auch später woanders ihren Bedarf decken, genügt nicht, um ein Erfordernis für das Abhalten einer Teilversammlung zu begründen. Etwas anderes wird jedoch von der Rechtsprechung angenommen, wenn die Unterbrechung des Geschäftsbetriebs zu einer besonderen Härte führen würde, was z. B. in den Zeiten des Oster- und Weihnachtsgeschäfts oder während des Sommer- oder Winterschlussverkaufs der Fall sein kann.
Der Arbeitgeber darf keinen Druck auf die Arbeitnehmer ausüben, um diese von einer Teilnahme an der Versammlung abzuhalten. Versprechungen des Arbeitgebers oder die bis zuletzt erfolgte Weigerung, die Geschäftsräume während der Betriebsversammlung zu schließen, in der Erwartung, dass nicht alle Arbeitnehmer an der Betriebsversammlung teilnehmen, sind unzulässig.
Rz. 18
Auch der öffentlich-rechtliche Auftrag eines Unternehmers, wie et...