Isabel Hexel, Martina Hidalgo
Rz. 597
In der Praxis stellen Arbeitgeber Arbeitnehmer häufig bei Ausspruch der Kündigung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei. Die tatsächliche Beschäftigung während der Kündigungsfrist ist jedoch regelmäßig gerade für leitende Angestellte mit langen Kündigungsfristen von hoher Relevanz, weil sie sich sonst nicht aus einer laufenden Beschäftigung bewerben können und Kontakt zu Vertriebspartnern, Kunden, etc. verlieren. Da das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf der Kündigungsfrist endet, besteht bei einer Nichtbeschäftigung während der Kündigungsfrist grundsätzlich ein Verfügungsanspruch. Der Beschäftigungsanspruch entfällt im gekündigten Arbeitsverhältnis nur, wenn im Einzelfall überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers zurücktreten lassen oder der Arbeitgeber aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung zur Freistellung des Arbeitnehmers berechtigt ist.
Überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers ergeben sich nicht schon daraus, dass nach Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber oder Eigenkündigung des Arbeitnehmers feststeht, dass das Arbeitsverhältnis in absehbarer Zeit enden wird. Erforderlich sind besondere schützenswerte Interessen des Arbeitgebers, die gegenüber dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Nach überwiegender Ansicht können aber auch andere Gründe im Einzelfall eine Freistellung rechtfertigen. Ein Suspendierungsgrund kann sich beispielsweise bei einem zur Konkurrenz wechselnden Arbeitnehmer aus dem Schutz wettbewerbsrechtlicher Interessen des Arbeitgebers ergeben. Ferner kommt ein Überwiegen der Interessen des Arbeitgebers bei einer auf eine schwere Pflichtverletzung gestützten verhaltensbedingten Kündigung wegen der Begehung einer Straftat in Betracht.
Rz. 598
Umstritten ist die Wirksamkeit der in der Praxis verbreiteten Klauseln, die dem Arbeitgeber das Recht einräumen, den Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung freizustellen. Überwiegend wird vertreten, dass zumindest der pauschale Vorausverzicht auf die Beschäftigung während der Kündigungsfrist wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Als wirksam werden nur Freistellungsklauseln angesehen, die den Grund, bei dessen Vorliegen eine Freistellung zulässig sein soll, konkret benennen. Zu beachten ist jedoch, dass auch bei einer wirksam vereinbarten Klausel die Ausübung des Freistellungsrechts der gerichtlichen Ausübungskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegt. Das heißt, für die Zulässigkeit der Freistellung ist jeweils in der konkreten Situation zu prüfen, ob die beiderseitigen Interessen hinreichend berücksichtigt worden sind.
Hinsichtlich des Verfügungsgrundes gelten die Ausführungen zur Freistellung im ungekündigten Arbeitsverhältnis entsprechend (siehe oben Rdn 595). Im Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sollte ein über das bloße Erfüllungsinteresse hinausgehendes Beschäftigungsinteresse dargelegt werden.
Rz. 599
Praxistipp
Einstweilige Verfügungen auf Beschäftigung während der Kündigungsfrist werden in der Praxis – insbesondere von Führungskräften – regelmäßig als taktisches Mittel genutzt, um kurzfristig Druck auf die Verhandlungsbereitschaft des Arbeitgebers auszuüben. Droht dem Arbeitgeber das Unterliegen im einstweiligen Verfügungsverfahren und damit die zumindest vorübergehende Rückkehr des gekündigten Arbeitnehmers in den Betrieb, so kann dies erheblichen Einfluss auf seine Bereitschaft haben, eine hohe Abfindungszahlung anzubieten.