Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 589
Dem Weiterbeschäftigung kann auch entgegenstehen, wenn eine nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts ausgesprochene Folgekündigung oder ein in der Berufungsinstanz neu gestellter Auflösungsantrag zu einer neuen, zusätzlichen Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führt.
Üblicherweise tritt in der Praxis die Konstellation auf, dass der Arbeitgeber gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, mit dem der Kündigungsschutzklage sowie dem Weiterbeschäftigungsanspruch stattgegeben wurde, Berufung einlegt und vorsorglich eine weitere Kündigung ausspricht. Im Ergebnis wird dabei überwiegend vertreten, dass eine Folgekündigung im Vollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO allgemein nicht zu berücksichtigen ist.
Der Arbeitgeber sollte dann möglicherweise in Erwägung ziehen, im Berufungsverfahren einen Antrag nach § 62 Abs. 1 S. 2 und 3 ArbGG auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu stellen. Bei den Landesarbeitsgerichten wird in dieser Konstellation allerdings nicht einheitlich beurteilt, ob der Arbeitgeber bei einer Folgekündigung einen nicht zu ersetzenden Nachteil darlegen muss. Einige Landesarbeitsgerichte vertreten die Ansicht, dass es bei einer zweiten Kündigung, die nach Ende der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausgesprochen wurde, keines nicht zu ersetzenden Nachteils bedarf. Der Arbeitgeber könne eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung über die §§ 769, 767 ZPO erzielen und dürfe nicht schlechter stehen, wenn er anstelle der Vollstreckungsgegenklage die Berufung einlegt. Darüber hinaus sollten nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG nicht solche Einwendungen ausgeschlossen werden, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstanden sind. Daher sei § 769 Abs. 1 ZPO analog anzuwenden bzw. § 62 Abs. 1 ArbGG teleologisch zu reduzieren.
Dagegen wird eingewendet, dass weder die Voraussetzungen für eine planwidrige Regelungslücke noch für eine teleologische Reduktion vorlägen. Diese Ansicht beruft sich insbesondere auf den Wortlaut des § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Daher müsse der Arbeitgeber einen nicht zu ersetzenden Nachteil darlegen.
Praxistipp
Eine Klärung des Meinungsstreits durch das BAG dürfte nicht zu erwarten sein, da Beschlüsse nach § 62 Abs. 1 S. 5 ArbGG unanfechtbar sind; die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO kann nicht zugelassen werden. Daher empfiehlt sich für eine effiziente Rechtsberatung, sich mit der jeweils maßgeblichen Rechtsprechung des im jeweiligen Einzelfall zuständigen Landesarbeitsgerichts auseinanderzusetzen.