Entscheidungsstichwort (Thema)

Nicht zu ersetzender Nachteil als Verfügungsgrund im einstweiligen Rechtsschutz. Weiterbeschäftigung trotz Auflösungsantrag des Arbeitgebers kein nicht zu ersetzender Nachteil i.S.d. §§ 719 Abs. 1 und 707 Abs. 1 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

Der bloße Umstand eines im Berufungsverfahren vom Arbeitgeber gestellten Auflösungsantrags rechtfertigt es für sich genommen noch nicht, die Zwangsvollstreckung aus einem Weiterbeschäftigungstitel einzustellen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein nicht zu ersetzender Nachteil ist mehr als ein lediglich schwer zu ersetzender Nachteil und nur dann anzunehmen, wenn die Zwangsvollstreckung zu einem nicht wiedergutzumachenden Schaden führen würde, ein solcher also bei Wegfall des Vollstreckungstitels nicht mehr rückgängig gemacht oder durch Geld oder andere Mittel ausgeglichen werden kann.

 

Normenkette

ArbGG § 62 Abs. 1 S. 3; ZPO § 707 Abs. 1, § 719 Abs. 1; KSchG § 9 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Trier (Entscheidung vom 19.06.2023; Aktenzeichen 5 Ca 44/22)

 

Tenor

Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19. Juni 2023, Az. 5 Ca 44/22, hinsichtlich Ziffer 3 (Weiterbeschäftigungsanspruch) bis zum Erlass des Urteils in der Berufungsinstanz einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beklagte begehrt die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel. Mit Urteil vom 19. Juni 2023 hat das Arbeitsgericht (unter anderem) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. März 2022 beendet wird (Ziff. 1 und 2 des Urteilstenors), und die Beklagte zugleich verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Leiterin im Vertrieb International weiterzubeschäftigen (Ziff. 3 des Urteilstenors). Gegen dieses ihr am 3. August 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. August 2023 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12. September 2023 hilfsweise einen Auflösungsantrag gestellt.

Die Klägerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel. Auf ihren Antrag wurde ihr am 15. August 2023 eine vollstreckbare Ausfertigung desselben erteilt. Mit Schriftsatz vom 12. September 2023 hat die Beklagte die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt. Zur Begründung verweist sie auf ihren zwischenzeitlich gestellten Auflösungsantrag, mit dem sie eine Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses herbeigeführt habe, die derjenigen entspreche, die vor Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bestanden habe. Damit entfalle der materiell-rechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin. Ihren Auflösungsantrag begründet sie damit, die Klägerin habe versuchten Prozessbetrug begangen, indem sie in der erstinstanzlichen Kammerverhandlung vom 12. April 2023 auf Nachfrage der Vorsitzenden bzgl. der geltend gemachten Annahmeverzugslohnansprüche erklärt habe, sich nicht bei anderen Unternehmen beworben zu haben. Diese Erklärung sei bewusst grob wahrheitswidrig gewesen, da die Klägerin selbst im erstinstanzlichen Verfahren einen ihr von der Z. GmbH (im Folgenden: Z.) im März 2022 angebotenen Arbeitsvertrag mit Wirkung ab 1. Juni 2022 eingereicht habe. Das Stellenangebot der Z. sowie ihre Bewerbung habe die Klägerin bewusst verschwiegen, um ihre Annahmeverzugslohnansprüche in ungekürzter Höhe durchzusetzen. Zudem habe sie den Sachverständigen belogen. Schließlich sei es unverfroren, dass sie ihr (der Beklagten) vorwerfe, bewusst unvollständig und damit wahrheitswidrig vorzutragen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Klägerin sei nicht mehr möglich.

Die Klägerin ihrerseits hat mit Schriftsatz vom 20. September 2023 Zurückweisung sowohl des Auflösungsantrags wie auch des Antrags auf Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt. Zur Begründung führt sie aus, die Vorwürfe der Beklagten träfen nicht zu. Die erstinstanzliche Kammervorsitzende habe sie seinerzeit nicht gefragt, ob sie sich irgendwann um eine anderweitige Stelle bemüht habe, sondern, ob sie sich nach Ausspruch der Kündigung zur Reduzierung des Annahmeverzugslohns um eine Beschäftigung bemüht habe. Letzteres habe sie wahrheitsgemäß verneint, da ihr Bewerbungsschreiben an die Z. vom 3. März 2022 datiere und damit vor Ausspruch der urteilsgegenständlichen Kündigung der Beklagten vom 11. März 2022 verfasst worden sei. Dies wisse die Beklagte auch. Seinerzeit habe sie sich aus einem ungekündigten Arbeitsverhältnis beworben, weshalb es nicht um die Erzielung von Zwischenverdienst gegangen sei.

II.

1. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG iVm §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihm steht insbesondere nicht entgegen, dass die Beklagte im ersten Rechtszug keinen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gestellt hat. Die Anträge nach § 62 Abs. 1 Satz 2 und § 62 A...

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