Isabel Hexel, Martina Hidalgo
Rz. 120
Eine personenbedingte Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen und der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Der Arbeitgeber hat im Rahmen der Interessenabwägung daher zunächst darzulegen, dass er alle anderen geeigneten Mittel zur Vermeidung zukünftiger Störungen ausgeschöpft hat. Dazu gehört auch das Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, die einen zukünftigen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses möglich erscheinen lassen. Vom Arbeitgeber kann insofern zunächst pauschal behauptet werden, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Auf diesen Vortrag hat der Arbeitnehmer konkret darzulegen, wie er sich seine Weiterbeschäftigung – ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen – vorstellt. Dem Arbeitgeber obliegt dann die Beweislast, dass auf dem vom Arbeitnehmer genannten Arbeitsplatz keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Bei krankheitsbedingten Kündigungen gelten diese Grundsätze allerdings nur, wenn der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX hat.
Rz. 121
Mit Hilfe des BEM soll geklärt werden, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermieden werden kann. Die Durchführung des BEM ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar nicht Wirksamkeitsvoraussetzung einer krankheitsbedingten Kündigung, hat jedoch Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Die unterlassene oder unzureichende Durchführung des BEM vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung führt dazu, dass die Substantiierungsanforderungen des Arbeitgebers hinsichtlich der Vermeidbarkeit der Kündigung erheblich steigen. Bei Fehlen eines BEM hat der Arbeitgeber darzulegen, weshalb denkbare oder vom Arbeitnehmer aufgezeigte Alternativen zu den bestehenden Beschäftigungsbedingungen mit der Aussicht auf eine Reduzierung der Ausfallzeit nicht in Betracht kommen. Er darf sich nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine alternativen, der Erkrankung angemessen Einsatzmöglichkeiten bekannt. Hieran scheitern krankheitsbedingte Kündigungen, bei denen kein BEM durchgeführt wurde, in der Praxis regelmäßig.
Hat der Arbeitgeber ein BEM durchgeführt, das zu einem negativen Ergebnis geführt hat, also zu der Erkenntnis, es gebe keine Möglichkeiten, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden oder künftig zu vermeiden, genügt er seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er auf diesen Umstand hinweist und behauptet, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Hat das BEM zu einem positiven Ergebnis geführt, ist der Arbeitgeber verpflichtet die empfohlene Maßnahme – soweit dies in seiner alleinigen Macht steht – vor Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung als milderes Mittel umzusetzen. Kündigt er, ohne sie umgesetzt zu haben, trägt er die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, warum die empfohlene Maßnahme undurchführbar war oder diese selbst bei einer Umsetzung nicht zu einer Vermeidung oder Reduzierung von Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätte.
Rz. 122
Die Durchführung des BEM setzt die Zustimmung des Arbeitnehmers voraus. Ohne Zustimmung des Arbeitnehmers kann das BEM nicht durchgeführt werden. Der Arbeitgeber trägt die Initiativlast für die Durchführung des BEM. Er genügt seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er darlegt, dass er den Arbeitnehmer zum BEM eingeladen hat, und dieser die Teilnahme abgelehnt hat. Das Unterlassen des BEM ist "kündigungsneutral", wenn der Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zustimmt.
Rz. 123
Abschließend wird bei personenbedingten Kündigungen im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung geprüft, ob die durch die Person des Arbeitnehmers ausgelöste Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt. Auf Seiten des Arbeitnehmers ist neben Alter, Unterhaltspflichten und Dauer der Betriebszugehörigkeit insbesondere zu berücksichtigen, ob die Minderung seiner Leistungsfähigkeit betrieblichen Ursachen geschuldet ist. Auf Seiten des Arbeitgebers sind sämtliche kausalen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen in die Abwägung einzubeziehen.