Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 86
Im Kündigungsschutzprozess wird der Handlungsspielraum des Arbeitgebers durch die Möglichkeit erweitert, einen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG zu stellen. Liegen dessen Voraussetzungen vor, so löst das Arbeitsgericht das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung mit Wirkung zum ordentlichen Kündigungstermin auf, obwohl die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt ist.
Rz. 87
Der Auflösungsantrag ist ein echter Hilfsantrag. Über ihn wird nur entschieden, wenn der Arbeitgeber mit seinem auf Klagabweisung gerichteten Hauptantrag unterliegt. Der Auflösungsantrag setzt eine ordentliche Kündigung voraus, bei der die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers aufgrund der Sozialwidrigkeit der Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 KSchG Erfolg hat. Ist die Kündigung (auch) aus einem anderen Grund unwirksam (z.B. wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats oder Verstoß gegen § 9 MuSchG), kommt eine gerichtliche Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers nicht in Betracht.
Regelmäßig muss der Auflösungsantrag begründet werden; eine Ausnahme gilt nur für leitende Angestellte im Sinne des § 14 KSchG. Bei allen übrigen Arbeitnehmern muss der Arbeitgeber einen Auflösungsgrund darlegen und beweisen, aufgrund dessen eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zu erwarten ist.
An die Auflösungsgründe werden grundsätzlich zwar strenge Anforderungen gestellt. Die Gründe müssen jedoch nicht das Gewicht eines ordentlichen Kündigungsgrundes haben. Als Auflösungsgründe kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder sein Verhältnis zu den übrigen Arbeitnehmern betreffen. Typische Auflösungsgründe sind Beleidigungen, verleumderische Tatsachenbehauptungen oder sonstige ehrverletzende Äußerungen oder Drohungen gegenüber dem Arbeitgeber, Kollegen oder Dritten (Kunden) oder Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht. Auch das Verhalten des Arbeitnehmers oder seines Prozessbevollmächtigten im laufenden Kündigungsschutzverfahren kann einen Auflösungsgrund begründen. Nicht veranlasste Erklärungen des Prozessbevollmächtigten muss der Arbeitnehmer sich zurechnen lassen, wenn er sich die Erklärungen zu eigen macht und sich auch nachträglich nicht distanziert.
Rz. 88
Praxishinweis
Ergeben sich Auflösungsgründe in der mündlichen Verhandlung (etwa weil der Arbeitnehmer den Arbeitgeber beleidigt), so sollte der Arbeitgeber auf die Protokollierung der Äußerungen hinwirken.
Rz. 89
Nicht notwendig ist, dass es sich um Tatsachen handelt, die erst nach Ausspruch der Kündigung entstanden sind. Dem Arbeitgeber ist es nicht verwehrt, sich auf einen Auflösungsgrund zu berufen, der mit dem Kündigungsgrund im Zusammenhang steht. Erforderlich ist allerdings, dass der Arbeitgeber substantiiert darlegt, warum der Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung selber nicht zu rechtfertigen vermag, eine weitere den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht erwarten lässt. Die bloße Bezugnahme auf die für die Kündigung vorgetragenen Gründe genügt nicht. Vielmehr muss der Arbeitgeber zusätzlich greifbare Tatsachen dafür vortragen, warum der Sachverhalt, der zwar die Kündigung nicht rechtfertigt, so beschaffen ist, dass er eine weitere, den Betriebszwecken dienliche, Zusammenarbeit nicht erwarten lässt.
Rz. 90
Praxishinweis
Da der Auflösungsantrag bei leitenden Angestellten im Sinne des § 14 KSchG keiner Begründung bedarf, besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, sich vom Arbeitnehmer zu lösen, ohne dass es der Darlegung von Gründen bedarf. Bei leitenden Angestellten kommt dem Auflösungsantrag daher in der Praxis eine hohe Bedeutung zu.
Rz. 91
Die Höhe der Abfindung setzt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen fest. Eine Bindung an etwaige Anträge der Parteien besteht nicht. Allerdings darf das Gericht bei der Festsetzung der Abfindung die gesetzliche Höchstgrenze des § 10 KSchG nicht überschreiten. Als Bemessungsfaktoren sind vom Gericht insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter des Arbeitnehmers und die damit verbundenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt sowie die weiteren Sozialdaten (etwa Unterhaltspflichten, Gesundheitszustand) heranzuziehen.
Rz. 92
Der Auflösungsantrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Ist er bereits in der ersten Instanz gestellt und abgewiesen worden, so ist die Berufung explizit auch auf den Auflösungsantrag zu erstrecken. Wird vom unterlegenen Arbeitgeber lediglich die Klagabweisung unter Abänderung des Urteils beantragt, ist der Auflösungsantrag nicht von der Berufung erfasst und eine erneute Antragstellung in der Berufungsinstanz ausgeschlossen.
Rz. 93
Praxishinweis
Regelmäßig sollte der Auflösungsantrag nicht bereits in der Klageerwiderung gestellt werden, da der Arbeitgeber dadurch zu erkennen gibt, dass er selber an der Wir...