Isabel Hexel, Martina Hidalgo
Rz. 152
Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nur neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind gemäß § 67 ArbGG zulässig (vgl. Rdn 153). Die Berufungsbegründung verlangt vom Berufungsführer eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des Arbeitsgerichts. Die Begründung muss auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein und erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das erstinstanzliche Urteil unrichtig sein soll. Dazu bedarf es zwar keiner schlüssigen, rechtlich zutreffenden oder vertretbaren Begründung. Die Begründung muss sich aber mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn es dieses bekämpfen will. Das erfordert, dass die Umstände bezeichnet werden, aus denen sich die Rechtsverletzung und ihre Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Daneben sind die Anhaltspunkte zu benennen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Hat das Arbeitsgericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt (Doppel- und Mehrfachbegründungen), muss die Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie unzutreffend sein soll. Hatte das Arbeitsgericht über mehrere Streitgegenstände befunden, so muss sich der Berufungsführer mit allen Streitgegenständen auseinandersetzen, hinsichtlich derer er unterlegen war und die er in der Berufung weiterverfolgen will.
Für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen, lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen. Der pauschale Hinweis auf die Entscheidung eines anderen Gerichts ersetzt die Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung selbst dann nicht, wenn dieses Gericht zu dem vom Berufungskläger angestrebten Ergebnis gekommen ist. Die Wiederholung von Rechtsansichten kann im Einzelfall ausreichen.
Liegt ein mit Urteilsgründen versehenes arbeitsgerichtliches Urteil bis zum Ablauf der Fünf-Monatsfrist nicht vor, muss der Berufungskläger innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 2 S. 2 ArbGG die Berufung einlegen und begründen. In einem solchen Fall reicht es zur Begründung der Berufung aus, diesen Verfahrensmangel zu rügen.
Die erforderliche Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung muss im Schriftsatz selbst erfolgen, so dass eine alleinige Bezugnahme auf Anlagen ausscheidet. Durch Anlagen kann der Vortrag in der Berufungsbegründung nur ergänzt oder erläutert werden.
Rz. 153
In der Berufungsbegründung müssen die nach § 67 ArbGG zulässigen neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden. Sie gelten als neu, wenn sie in der ersten Instanz noch nicht vorgetragen worden sind. Zu den Angriffs- und Verteidigungsmitteln zählen tatsächliche Behauptungen bzw. deren Bestreiten, das Geltendmachen von Einwendungen und Einreden, das Vorbringen von Beweismitteln und Beweiseinreden sowie Verzicht und Anerkenntnis. Aufrechnung und Anfechtung zählen dazu, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen in das Verfahren eingeführt werden. Kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel sind dagegen Klage, Widerklage, Klagerweiterung oder -änderung sowie das Vertreten von Rechtsansichten.
Für das Berufungsverfahren vor einem LAG enthält § 67 ArbGG eine eigenständige Regelung über die Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel, die die Präklusionsvorschrift nach § 531 ZPO verdrängt. Daher sind im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel grds. zu berücksichtigen und nur unter den Voraussetzungen des § 67 ArbGG ausgeschlossen. Dementsprechend findet auch § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren in der dort normierten Form keine Anwendung. Der Berufungskläger kann seine Berufung ganz oder teilweise auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel stützen und muss in seiner Berufungsbegründung keinen Vortrag zur Zulässigkeit des neuen Vorbringens halten. Er muss sich in diesem Fall auch nicht zwingend mit der erstinstanzlichen Entscheidung auseinandersetzen und braucht nicht vorzutragen oder gar glaubhaft machen, dass dieses neue Vorbringen auch prozessual zulässig ist. Es kann sogar – ausnahmsweise – entbehrlich sein, Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit zu machen und zwar dann, wenn sich diese unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil und der Berufungsbegründung ergibt. Es empfiehlt sich dennoch, sich in der Berufungsbegründungsschrift nicht ausschließlich auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zu stützen.