Rz. 207

Bei Widerrufsvergleichen ist die Wirksamkeit des Vergleiches aufschiebend bedingt.[220] Die zwischen den Parteien getroffene Regelung soll erst dann gelten, wenn die vereinbarte Frist abgelaufen ist, ohne dass bei Gericht eine Widerrufserklärung eingegangen wäre.

 

Rz. 208

Dass die Bedingung (kein Widerruf der Parteien) eingetreten ist, hat diejenige Partei zu beweisen, die sich auf den, mangels Widerruf wirksam gewordenen, Vergleich beruft.[221]

 

Rz. 209

Das Nicht-Ausnutzen einer Widerrufsmöglichkeit ist keine Willenserklärung und damit auch nicht anfechtbar.[222]

 

Rz. 210

Die in einem Prozessvergleich bestimmte Widerrufsfrist ist keine Notfrist.[223] Bei Fristversäumung ist eine Wiedereinsetzung nicht zulässig.[224] Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog § 230 ZPO entfällt bei Versäumung eines Vergleichswiderrufes.[225]

 

Rz. 211

Der Fristlauf beginnt am Tage nach dem Vergleichsabschluss (§ 187 Abs. 1 BGB) und nicht erst mit Zugang des Protokolls.[226] Fällt der Fristablauf auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, endet die Frist im Zweifel erst am nächsten Werktag (§ 193 BGB);[227] siehe ergänzend § 5 Rdn 264 ff. Die in einem Prozessvergleich vereinbarte Widerrufsfrist kann durch eine außergerichtliche Vereinbarung verlängert werden, wenn die Fristverlängerung innerhalb der Widerrufsfrist dem Gericht gegenüber angezeigt wird.[228]

 

Rz. 212

Der Widerruf kann sowohl gegenüber dem Gericht als auch gegenüber der anderen Vergleichspartei wirksam erklärt werden, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.[229] Bei der Ausübung des vorbehaltenen Widerrufs hat ein Rechtsanwalt i.d.R. für den rechtzeitigen und formgerechten Eingang bei der zuständigen Stelle in beweisbarer Form zu sorgen.[230] Haben die Parteien ausdrücklich oder konkludent vereinbart, dass der Widerruf gegenüber dem Gericht[231] binnen einer bestimmten Frist zu erfolgen hat, reicht eine nur der anderen Partei fristgemäß zugesandte Widerrufserklärung nicht aus, die Widerrufsfrist zu wahren; geht der Widerruf bei Gericht nicht fristgerecht ein, wird der Vergleich also rechtsgültig.[232]

 

Rz. 213

Die Widerrufsfrist wird gewahrt, wenn der Schriftsatz vor Fristablauf in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt, auch wenn im Vergleich "Anzeige zu den Gerichtsakten" oder "Einreichung zur Geschäftsstelle" vereinbart ist.[233] Für die Rechtzeitigkeit darf es nicht auf interne gerichtliche Geschäftsabläufe und die Mitwirkung von Justizbediensteten ankommen.[234]

 

Rz. 214

Der Widerruf eines Prozessvergleichs durch den Haftpflichtversicherer wirkt auch für und gegen den mitverklagten und in den Vergleich miteinbezogenen Versicherten.[235]

 

Rz. 215

Wurde ein Widerrufsvergleich nur von einer Partei (wirksam) widerrufen, ist ein Feststellungsantrag des Klägers hinsichtlich der Wirksamkeit des Vergleichs gegenüber den übrigen Beklagten zulässig, wenn diese die Fortsetzung des Rechtsstreites in der Meinung beantragt haben, der Vergleich sei aufgrund des Widerrufs insgesamt hinfällig.[236]

 

Rz. 216

Hat der Verletzte mit allen ihm haftenden Personen (Gesamtschuldner) einen bedingten Vergleich ­geschlossen, kann er u.U. trotz Erhalts der Vergleichssumme gegenüber demjenigen Schädiger, der den Vergleich widerruft, seinen vollen Schaden – unter Anrechnung des gezahlten Vergleichsbetrages – weiterfolgen.[237]

 

Rz. 217

Heißt es in einem gerichtlichen Vergleich, eine Zahlung sei bis zu einem bestimmten Tage "an den Kläger" zu leisten, so erfüllt (siehe ergänzend § 2 Rdn 792 ff.) der Schuldner seine Verpflichtung, wenn der Betrag rechtzeitig auf dem Konto des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingeht.[238]

 

Rz. 218

Bis zur Erklärung des Widerrufs ist der Verjährungslauf gehemmt.[239]

[220] BAG v. 5.11.2003 – 10 AZB 38/03 – BAGE 108, 217 = BB 2004, 276 = DB 2004, 388 = MDR 2004, 537 = NJW 2004, 701 = NZA 2004, 117 = Rpfleger 2004, 298; BGH v. 27.10.1983 – IX ZR 68/83 – BGHZ 88, 364 = MDR 1984, 226 = NJW 1984, 312 = Rpfleger 1984, 69 = ZIP 1984, 109.
[221] BAG v. 5.11.2003 – 10 AZB 38/03 – BAGE 108, 217 = BB 2004, 276 = DB 2004, 388 = MDR 2004, 537 = NJW 2004, 701 = NZA 2004, 117 = Rpfleger 2004, 298 (Erteilung der Vollstreckungsklausel).
[222] OLG Celle v. 16.9.1969 – 12 W 69/69 – VersR 1969, 930.
[223] BGH v. 1.12.1994 – IX ZR 131/94 – BB 1995, 799 = DB 1995, 2158 = NJW 1995, 521 = VersR 1995, 297; LAG Düsseldorf v. 24.2.2004 – 8 Sa 1806/03 – BRAK-Mitt 2004, 160 (nur Ls.).
[224] BAG v. 22.1.1998 – 2 AZR 367/97 – MDR 1998, 794 = NJW 1998, 2844 = VersR 1999, 338 (nur Ls.); LAG Düsseldorf v. 24.2.2004 – 8 Sa 1806/03 – BRAK-Mitt 2004, 160 (nur Ls.); BGH v. 1.12.1994 – IX ZR 131/94 – BB 1995, 799 = DB 1995, 2158 = NJW 1995, 521 = VersR 1995, 297.
[225] OLG Hamm v. 9.7.1991 – 20 W 25/91 – VersR 1992, 983.
[226] OLG Schleswig v. 18.12.1986 – 7 U 178/86 – NJW-RR 1987, 1022.
[227] BGH v. 6.12.2007 – III ZR 146/07 – MDR 2008, 375 = NJW-RR 2008, 459 = WM 2008, 490 = ZMR 2008, 276; BGH v. 21.6.1978 – VIII ZR 127/76 – BeckRS 1978, 31119382 = MDR 1979, 49 = NJW 1978, 2091 (nur Ls...

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