Rz. 210

 

§ 148 ZPO – Aussetzung bei Vorgreiflichkeit

(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen von Rechtsverhältnissen oder Rechtsfragen abhängt, die Gegenstand einer Verbandsklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz sind, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher oder nach diesem Gesetz einem Verbraucher gleichgestellt ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Erledigung des Verbandsklageverfahrens auszusetzen sei.
(3)
 

Rz. 211

 

§ 108 SGB VII – Bindung der Gerichte

(1) Hat ein Gericht über Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 genannten Art zu entscheiden, ist es an eine unanfechtbare Entscheidung nach diesem Buch oder nach dem Sozialgerichtsgesetz in der jeweils geltenden Fassung gebunden, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist.
(2)

1Das Gericht hat sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Absatz 1 ergangen ist.

2Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt das Gericht dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist.

 

Rz. 212

 

§ 118 SGB X – Bindung der Gerichte

Hat ein Gericht über einen nach § 116 übergegangenen Anspruch zu entscheiden, ist es an eine unanfechtbare Entscheidung gebunden, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist.

1. § 148 ZPO

 

Rz. 213

Schwebt vor einem Verwaltungs-/Sozialgerichtsverfahren ein Rechtsstreit zwischen dem Verletzten und einem Drittleistungsträger (z.B. SVT über dessen Eintrittspflicht, den Anspruch auf Gewährung oder die Höhe einer Sozialleistung), ist ein Zivilrechtstreit des Verletzten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sozialrechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen.[277] § 148 ZPO dient sowohl der Prozessökonomie[278] als auch der Vermeidung divergierender Entscheidungen.[279]

 

Rz. 214

Ein Zivilverfahren ist nicht wegen §§ 116, 118 SGB X gemäß § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen, wenn das sozialrechtliche Verfahren im Hinblick auf die unterschiedlichen Kausalitätsmaßstäbe im Zivil- und Sozialrecht nicht vorgreiflich ist und Fragen zur Art und Höhe der Sozialleistungen durch ein reines Feststellungsurteil gerade nicht vorgriffen wird.[280]

[277] LG Stuttgart v. 24.11.2006 – 2 O 57/06.
[278] BGH v. 30.3.2005 – X ZB 26/04 – AnwBl 2005, 75 = BeckRS 2005, 5817 = BGHZ 162, 373 = FamRZ 2005, 1081 = MDR 2005, 1185 = NJW 2005, 1947 = openJur 2012, 58929 = VersR 2005, 1410.
[279] BAG v. 28.7.2021 – 10 AZR 397/20 (A) – BeckRS 2021, 21673 = NJW 2021, 2678 (nur Ls.) = NZA 2021, 1273 = VersR 2022, 901, 904.

2. § 108 SGB VII

 

Rz. 215

Ist ein UVT involviert (Streit z.B. über Anerkennung als Arbeitsunfall), ist § 108 SGB VII zu beachten.[281] § 108 SGB VII regelt eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach das erkennende Gericht bei der Beurteilung des von ihm zu entscheidenden Falls frei von einer Bindung an anderweitig getroffene Entscheidungen ist.

[281] Zur Aussetzung nach § 108 SGB VII Geigel-Wellner, Der Haftpflichtprozess, 29. Aufl. 2024, Kap. 31 Rn 121 ff.; Jahnke/Burmann-Jahnke/Burmann, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 2 Rn 3397 ff., 3410 ff., 3440 ff.; Jahnke/Burmann-Müller, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 8 Rn 720 ff.; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl. 2020, Rn 554.

3. § 118 SGB X

 

Rz. 216

Nach § 118 SGB X[282] ist ein Zivilgericht, das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X vom Geschädigten auf einen Sozialleistungsträger übergegangenen Anspruch zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialleistungsträgers über Grund oder Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung grundsätzlich gebunden. Damit soll verhindert werden, dass die Zivilgerichte anders über einen Sozialleistungsanspruch entscheiden als die hierfür an sich zuständigen Leistungsträger oder Gerichte.[283] Sozialversicherungsrechtliche Vorfragen – gerade auch mit Blick auf die jeweiligen speziellen Kenntnisse – sind nicht von der Zivilgerichtsbarkeit, sondern allein und vorrangig im sozialgerichtlichen Verfahren zu entscheiden (Vorrang der sozialrechtlichen Klärung).[284] Sozialrechtliche Vorfragen sollen den Zivilprozess nicht belasten und deshalb vor den Zivilgerichten grundsätzlich nicht erörtert werden.[285] § 118 SGB X erfasst nur Entscheidungen dazu, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist.[...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge