Rz. 233
Ausnahmen von der Zustimmungsbedürftigkeit regeln die §§ 69d und 69e UrhG. Sie bestimmen die Mindestrechte der befugten Nutzung von Computerprogrammen.
Rz. 234
Erlaubt ist – neben der bestimmungsgemäßen Benutzung des Programms (einschließlich Fehlerberichtigung) – die Herstellung einer einzigen Sicherungskopie (Backup copy gem. § 69d Abs. 2 UrhG). Diese ist nicht mit der regelmäßigen Datensicherung zu verwechseln, die als "bestimmungsgemäße Benutzung" (§ 69d Abs. 1 UrhG) anzusehen ist. Die Regelungen des § 69d Abs. 2 und 3 UrhG sind gem. § 69g Abs. 2 UrhG nicht vertraglich ausschließbar.
Durch die Urheberrechtsreform 2021 wurde § 69d Abs. 2 UrhG in Umsetzung des Art. 6 DSM-RL dahingehend erweitert, dass Sicherungskopien auch zur Erhaltung des Kulturerbes zulässig sind, etwa zur langfristigen Bestandssicherung von Computerspielen.
Rz. 235
Nach der "doctrine of implied licence", die der Computerrichtlinie zugrunde liegt, hat der Nutzer nicht nur Anspruch auf (unbedingt) notwendige, sondern auf gebotene Nutzungshandlungen, wie etwa der Vervielfältigung. Aufgrund der in Rdn 227 erwähnten Entscheidung des BGH "OEM-Version" erhält diese Vorschrift eine besondere Bedeutung. Diskutiert wird nunmehr, ob der Urheber trotz Eintritts der Erschöpfung das Vervielfältigungsrecht als weiteres ausschließliches Nutzungsrecht an den konkreten Programmkopien geltend machen kann. Hintergrund dafür sei, dass der Händler sich zwar nunmehr auf Erschöpfung berufen könne, das Computerprogramm aber trotzdem nicht ohne Zustimmung in den Arbeitsspeicher laden dürfe, da dieser Vorgang als Vervielfältigung anzusehen sei und sich die Erschöpfung nur auf das Verbreitungsrecht beziehe. In der Folge wäre trotz legitimem Erwerb und Eigentumsübergang an der Programmkopie keine Nutzungsberechtigung entstanden. Nach dieser Auffassung könnte nur eine lückenlose Kette von Berechtigungen (vertragliches Vertriebssystem ohne Vertragsverletzung) zur Berechtigung des Nutzers führen. § 69d UrhG kann aber im Hinblick auf die genannte Computerrichtlinie nur so ausgelegt werden, dass im Falle der Erschöpfung von einer typisierten Zustimmung des Berechtigten (bezogen auf die in § 69c Nr. 1 und 2 UrhG genannten Handlungen) auszugehen ist. Die "bestimmungsgemäße Benutzung" erweitert somit die Schranken der Werk-Urheber-Beziehung. Andernfalls könnte der Urheber eines Computerprogramms "grenzenlos" die Benutzung der (konkreten) Programmkopie – und zwar auf jeder Vertriebsstufe und selbst bei privater Weiterübertragung – untersagen. Dies aber würde der Intention der Computerrichtlinie widersprechen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Urheber behält sein ausschließliches Recht der Vervielfältigung an solchen Programmkopien, die nicht in den legitimen Vertrieb gelangt waren (auf jeder Vertriebsstufe).
Rz. 236
Ausdrücklich regelt § 69d Abs. 3 UrhG, dass der Berechtigte ohne Zustimmung des Rechtsinhabers das Funktionieren des Programms durch Handlungen zum Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern des Programms beobachten, untersuchen oder testen darf, um die einem Programmelement zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln.
Rz. 237
Mit der Urheberrechtsreform 2021 wurden § 69d Abs. 4 bis 7 UrhG neu eingefügt.
§ 69d Abs. 4 UrhG setzt Art. 4 Abs. 1 DSM-RL um und bringt zum Ausdruck, dass Computerprogramme für das allgemeine Text und Data Mining auch genutzt werden können, etwa zur Übersetzung in andere Programmiersprachen (Nutzungsformen gem. § 69c Nr. 2 UrhG).
Die Vervielfältigung, Übersetzung, Bearbeitung und Verbreitung von Computerprogrammen für Unterricht und Lehre (§ 60a UrhG) wird in § 69d Abs. 5 UrhG erlaubt und dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 DSM-RL. Es ist dabei Folgendes zu beachten:
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Die Nutzungen sind digital unter Verantwortung einer Bildungseinrichtung in ihren Räumlichkeiten, an anderen Orten oder in einer gesicherten elektronischen Umgebung zulässig (Nr. 1) (die Software darf also nicht auf physischen Trägern wie USB-Sticks verbreitet werden). |
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Die Computerprogramme dürfen auch gem. § 69c Nr. 2 genutzt werden (Nr. 2) (Übersetzung eines Softwarecodes oder die Bearbeitung des Computerprogramms). |
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Die Computerprogramme dürfen vollständig genutzt werden (Nr. 3) (es wird klargestellt, dass Computerprogramme für Unterricht und Lehre nicht nur im Umfang von 15 %, sondern vollständig genutzt werden können, da diese ansonsten nicht lauffähig wären). |
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Die Nutzung muss zum Zweck der Veranschaulichung von Unterricht und Lehre gerechtfertigt sein (Nr. 4) (im Rahmen eines Informatikunterrichts kann eine Software zu Lernzwecken vervielfältigt werden, um diese anschließend zu Übungszwecken zu bearbeiten). |
§ 69d Abs. 6 UrhG setzt Art. 3 Abs. 1 DSM-RL um, wonach keine gesetzliche Erlaubnis zur Nutzung von Software für Text und Data Mining für wissenschaftliche Zwecke (§ 60d UrhG) besteht.
§ 69d Abs. 7 UrhG dient der Umsetzung von Art. 8 Abs. 2 sowie Art. 10 und 12 DSM-RL, indem dort bestimmt...