Rz. 57
Eine "Störung" liegt vor, wenn ein Eigentümer seine Rechte bei der Nutzung von Gemeinschafts- oder Sondereigentum überschreitet. Da die Hausordnung eine Sammlung von Regelungen für die Nutzung des Sonder- und Gemeinschaftseigentums ist, stellt insbesondere jeder Verstoß gegen die Hausordnung eine unzulässige Nutzung ("Störung") im weiteren Sinne dar. Die Ausführungen in diesem Abschnitt sind aber allgemeiner Natur und gelten für alle Arten von Störungen, somit auch für unzulässige bauliche Veränderungen (die aber trotzdem noch gesondert behandelt werden → § 4 Rdn 114).
Rz. 58
Bis zur WEG-Reform 2020 konnte jeder Miteigentümer aus eigenem Recht gegen Störungen jeglicher Art vorgehen, ohne auf die Mitwirkung oder Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft angewiesen zu sein. Die Gemeinschaft konnte allerdings die Ansprüche durch Beschluss an sich ziehen ("vergemeinschaften"); geschah dies, endete die Anspruchsbefugnis des einzelnen Miteigentümers. Das ist nach dem geltenden Recht anders. "Die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte", also solche gem. §§ 1004, 823 BGB, kann gem. § 9a Abs. 2 WEG nur noch die Gemeinschaft geltend machen. Der einzelne Miteigentümer kann aus eigenem Recht (§§ 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG, § 1004 BGB) nur gegen Störungen seines Sondereigentums vorgehen. Eine solche Störung liegt zum einen im Fall der Substanzverletzung vor (wenig relevant), zum anderen und vor allem dann, wenn das Nutzungsrecht beeinträchtigt wird. Dementsprechend kann jeder Miteigentümer gegen Störungen vorgehen, die sich im räumlichen Bereich seines Sondereigentums auswirken, also insbesondere gegen Lärm, Gerüche und Verschattung oder gravierende Beeinträchtigung der Aussicht. Wenn sowohl das Gemeinschafts-, als auch das Sondereigentum betroffen sind, bleibt die Anspruchsbefugnis des Wohnungseigentümers bestehen. Insofern überlagern sich in Grenzbereichen weiterhin individuelle Ansprüche und solche, die nur die Gemeinschaft geltend machen kann.
Rz. 59
Beispiele
a) Miteigentümer A bringt ohne Gestattungsbeschluss der Gemeinschaft (also rechtswidrig) ein Klimagerät oder eine Markise an seiner Wohnung (oder seinem Teileigentum) an. Beides ist aus der Wohnung des Miteigentümers B zu sehen; und die Betriebsgeräusche der Markise (beim Ein- und Ausfahren) bzw. der Klimaanlage sind in der Wohnung zu hören. Für B wäre es schön, wenn er den Rückbau der unzulässigen Baumaßnahme verlangen könnte; das kann er aber nicht, weil die rein optische Beeinträchtigung keine Störung seines Sondereigentums darstellt und den Rückbauanspruch deshalb gem. § 9a Abs. 2 WEG nur die Gemeinschaft geltend machen kann. B kann von A nur die Unterlassung der von der Markise oder vom Klimagerät ausgehenden Lärmemissionen verlangen, denn insoweit geht es um die Abwehr störender Einwirkungen auf sein Sondereigentum. Damit müsste B freilich Erfolg haben: Grundsätzlich ist es zwar schwieriger, die Unterlassung von Ruhestörungen durchzusetzen als die Beseitigung von deren Ursache (nämlich den Rückbau des Klimageräts). Aber wenn – wie im Fall – die Störungen ihre Ursache in einer a priori unzulässigen (binnenrechtswidrigen) Nutzung des Sondereigentums haben, kann jede, auch eine unwesentliche Störung abgewehrt werden. Das ergibt sich aus § 14 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 WEG: Die Interessenabwägung, ob die Einwirkung (Ruhestörung) über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidbare Maß hinausgeht, ist nur bei einem durch Vereinbarung oder Beschluss nicht geregelten Zustand vorzunehmen; verstößt eine Nutzung gegen das Gesetz (und damit zwangsläufig zugleich gegen die Gemeinschaftsordnung), sind dadurch verursachte Einwirkungen nicht zu dulden.
b) Miteigentümer A nutzt sein Sondereigentum entgegen dessen Zweckbestimmung, bspw. seine Wohnung gewerblich oder sein Teileigentum zum Wohnen. Den sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Anspruch (ganz allgemein) auf Unterlassung der gewerblichen Nutzung gem. § 1004 Abs. 1 BGB kann nur die Gemeinschaft geltend machen. Nur gegen einzelne Handlungsweisen, die sich innerhalb ihrer Wohnungen störend auswirken, können sich die Miteigentümer aus eigenem Recht gem. § 1004 Abs. 1 BGB durch Erhebung einer Unterlassungsklage wehren. Weil die Störungen ihre Ursache in einer vereinbarungswidrigen Nutzung des Sondereigentums haben, sind sie ohne weiteres unzulässig und zu unterlassen; es gilt das vorstehend zu a) Ausgeführte.
Rz. 60
Muster für die zu den vorstehenden Beispielen passenden Klaganträge finden sich unten (→ § 3 Rdn 73, → § 3 Rdn 78). Nicht anspruchsberechtigt sind Mieter, obwohl diese faktisch natürlich genauso unter einer Störung leiden können wie ein selbstnutzender Eigentümer. Mieter müssen ihre Rechte auf dem "Umweg" über ihre Vermieter verfolgen, indem sie die ihnen nach dem Mietrecht zustehenden Mängelansprüche geltend machen. Ein vermietender Eigentümer kann vom Störer Unterlassung und Ersatz des ihm im Mietverhältnis entstandenen Schadens verla...